• «Mit dem Theaterspiel versuche ich, die Leute auch zu unterhalten und ihnen eine gute Zeit zu verschaffen, damit sie vielleicht für eine kurze Zeit von den Alltagssorgen entfliehen können.» · Bilder: Thomas Peter

  • «Ich denke, Dällebach Kari ist aktuell und wird es auch bleiben.»

  • Ruedi Zurflüh verkörperte den Dällenbach Kari 16 Mal. · Bild: zvg

  • Ruedi Zurflüh: «Es war schön, wie wir alle im Spiel zueinander gefunden haben.» · Bild: zvg

30.08.2022
Oberaargau

Ruedi Zurflüh: «Jeder überspielt doch manchmal wie Dällenbach Kari seine Schwächen»

Die Freilichtspiele «Dr Dällebach Kari» begeisterte rundum und ernteten viel Applaus, ja gar Standing Ovations. Madeleine Rickenbacher, die Regisseurin lobte die Schauspiel-Crew in den höchsten Tönen. Ruedi Zurflüh spielte die Hauptrolle des älteren «Kari». Der «Unter-Emmentaler» wollte von ihm wissen, wie er sich auf die Rolle als solches sowie den «Sprachfehler» vorbereitete.

Marianne Ruch im Gespräch mit Ruedi Zurflüh, Darsteller der Rolle des Dällebach Kari auf dem Flüehli.

Ruedi Zurflüh, Sie spielten schon oft in den Aufführungen der Rütscheler Freilichtspiele mit. Heuer als Dällebach Kari. War diese Rolle eine besondere Herausforderung?
Dies ist meine erste Hauptrolle bei den Rütscheler Freilichtspielen. Ich hatte bisher neben kleineren Rollen jeweils noch die Funktion der Regieassistenz inne und habe im OK mitgearbeitet. Deshalb war es für mich schon eine Herausforderung, bei dieser Produktion eine solch tragende Rolle zu spielen.

Der richtige Dällebach Kari hatte einen Sprachfehler – Wie haben Sie sich auf die Rolle als Dällebach Kari vorbereitet? Wie haben Sie diesen Sprachfehler geübt?
Ich weiss nicht, ob man da von einem Sprachfehler sprechen kann? Von Madeleine Rickenbacher wurde mir gesagt, dass die Stimme etwas nasal klingen sollte. Das war aber nicht einmal so schwierig. Ich habe einfach mal ausprobiert, wie ich meine Stimme verändern muss, damit sie so klingt. Und es hat scheinbar gepasst. Von Jürg Hostettler von der Hostettler Dental AG in Huttwil wurden für Colin Kämpf, der den jungen Dällebach Kari spielte, und mich Spangen angefertigt, die die Lippenspalte andeuteten. Diese haben auch geholfen, die nasale Stimmlage zu ermöglichen.

Reden Sie jetzt privat auch so?
Nein, in keiner Weise.

Haben Sie vorher Filme über Dällebach Kari geschaut? Oder wussten Sie einfach, wie Sie die Rolle spielen wollen oder müssen?
Sicher habe ich mir Filme angeschaut. Es gibt ja nicht für jede Rolle die Möglichkeit, die zu spielende Figur so entdecken zu können. Ich hatte aber auch noch die Aufführungen der Liebhabertheater-Gesellschaft Solothurn in Erinnerung, die vor einigen Jahren das Bühnenstück von Renato Cavoli aufgeführt hat, mit einem hervorragenden Walter Fankhauser aus Jegenstorf in der Rolle des Dällebach Kari.

Wie stehen Sie persönlich zu der Person Dällebach Kari?
Mir kommt beim Dällebach Kari immer auch das Lied, das Mani Matter über ihn geschrieben hat, in den Sinn. Es trifft meiner Meinung nach die Person und was hinter ihr steckt sehr gut. Kari, der seiner Lippenspalte wegen ausgegrenzt wird, schafft sich mit seiner «lustigen» Art eine Fassade, die ihn vor den Angriffen der Anderen schützt. Ist das nicht ein Mechanismus, den wir alle manchmal verwenden?

Wie aktuell ist Dällebach Kari? Was können Sie persönlich, die Gesellschaft von ihm lernen?
Ich denke, Dällebach Kari ist aktuell und wird es auch bleiben. Denn in gewissen Situationen überspielen wir alle unsere Schwächen mit einem Witz. Ich erlebe das auch selbst. Sachen, die mir nahe gehen und ich dies nicht zeigen will, überspiele ich mit einem Witz und Humor.

Müssen wir das heute?
Das weiss ich nicht. Aber ich glaube, es ist menschlich und wir tun dies als Selbstschutz.

Madeleine Rickenbacher, die Regisseurin, sagte: «Ruedi Zurflüh spielt Dällebach Kari nicht nur, er ist Dällebach Kari.» Was sagen Sie zu dieser Aussage?
Sie ehrt mich natürlich sehr. Es ist ja nicht nur meine Auffassung der Figur, die beim Spiel massgebend war, es ist auch die Regisseurin, die den Spielerinnen und Spielern ihre Vorstellungen mitgegeben hat, wie sie die Figuren sieht. Ich habe versucht, die Vorgaben von Madeleine Rickenbacher umzusetzen, und das scheint mir gelungen zu sein.

Sie sind der geborene Schauspieler, warum haben Sie hier keine Karriere angestrebt?
Ich bin sicher nicht der geborene Schauspieler. Es ist ein Hobby, mit dem ich schon aufgewachsen bin. An mehr habe ich noch nie gedacht. Es freut mich einfach, wenn ich die Zuschauer mit meinem Spiel unterhalten kann.

Vom Fürsprecher zum einfachen Büezer, dem Coiffeur. War das schwierig?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mein Vater war Schmied und Landwirt. Für mich gibt es da keine Unterschiede, ob Büezer oder Bürogummi. Ohne jetzt den Büezern zu nahe treten zu wollen.

Was ist das Faszinierende daran, in andere Rollen zu schlüpfen?
Es geht mir beim Theaterspielen nicht in erster Linie darum, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Es ist vielmehr für mich ein Mittel, Kultur darzustellen und weiterzugeben. Mit dem Spiel versuche ich, die Leute auch zu unterhalten und ihnen eine gute Zeit zu verschaffen, damit sie vielleicht für eine kurze Zeit von den Alltagssorgen entfliehen können. Natürlich kann und soll das Theater andererseits auch zum Nachdenken anregen. Gerade die Geschichte um Dällebach Kari ist ein guter Mix von beidem.

Was haben Sie für einen Bezug zum Theater?
Wie gesagt, bin ich mit dem Theater aufgewachsen. In Rütschelen hat es schon immer Theateraufführungen gegeben, früher mindestens zwei verschiedene Produktionen pro Jahr. Es gehörte zum Vereinsleben beim Frauen- und Töchternchor (heute Rütscheler Singlüt), bei der Musikgesellschaft und auch schon beim Rad- und Velo-club. Mein Vater war schon ein sehr begeisterter Theaterspieler und hat sowohl bei der Musikgesellschaft als auch beim Frauen- und Töchternchor regelmässig gespielt. Auch ein Bruder von mir spielt ab und zu bei verschiedenen Vereinen mit. Madeleine Rickenbacher ist meine Cousine und auch meine Tante Madlen Mathys (Frau Geiser) und meine Cousine Anna Schenk (Frau Jenny) spielten beim Dällebach Kari mit. Es liegt also einfach in der Familie.
Ich war auch mehrere Jahre im Verband tätig als Vorstandsmitglied der Bernischen Gesellschaft für das Volkstheater (heute: amathea.ch), welche sich für die Belange des Laientheaters einsetzt. Dort war ich für die Organisation von Theaterkursen zuständig.

Sie sind seit Januar jede Woche mehrmals von Bern nach Rütschelen gefahren – warum nimmt man solche Strapazen auf sich?
Weil ich Freude an der Sache habe.
Ich bin seit mehr als 20 Jahren Mitglied bei den Rütscheler Singlüt und fahre so fast jede Woche nach Rütschelen an die Probe. Ich fühle mich immer noch in der Gemeinde, wo ich aufgewachsen bin, verwurzelt. Das Mitmachen im Verein, ob Singen oder Theaterspielen, macht Freude und wir sind eine gute Truppe, die viel Spass zusammen hat. Besonders jeweils auch im zweiten Teil im «Pöstli».

Sind Sie nie an Ihre Grenzen gestossen? Die Temperaturen waren sehr hoch, die Belastung Ihrem Beruf als Fürsprecher nachzugehen und über Monate in das Freilichtspiel eingeplant zu sein, scheint recht hoch?
Wenn man etwas gerne macht, spürt man die Belastung nicht gross. Natürlich ist die Motivation nicht immer gleich. Aber das Resultat hilft über vieles hinweg.

Spüren Sie Wehmut, diesen Super-Sommer «verpasst» zu haben?
Ich habe nichts verpasst. Ich hatte doch einen Super-Sommer!

Wie war die Zusammenarbeit mit der Regisseurin, den Theaterkolleginnen und Kollegen?
Die Zusammenarbeit war super. Madeleine Rickenbacher und ich kennen uns sehr gut. Wir haben schon mehrmals auch zusammen Theater gespielt. So spielte ich zum Beispiel bei den ersten Rütscheler Freilichtspielen im Stück «Dütsch und Wältsch», in welchem sie die Hauptrolle der Jeanette de Fleurier innehatte, ihren Vater. Madeleine Rickenbacher hat auch schon in Stücken mitgespielt, bei welchen ich Regie führte. Wir haben in etwa die gleiche Auffassung, wie ein Theaterstück funktionieren sollte. Auch mit den anderen Theaterkolleginnen und -kollegen war es toll. Mit wenigen Ausnahmen sind es ja alles Mitglieder der Rütscheler Singlüt und wir kannten uns so schon gut. Es war schön, wie wir alle im Spiel zueinander gefunden haben, wir konnten uns aufeinander verlassen. Daraus hat sich aus meiner Sicht ein wirklich harmonisches Miteinander ergeben, was zu einen guten Flow bei den Aufführungen geführt hat. Ich glaube, das hat auch das Publikum gespürt. Was mich besonders gerührt hat, war die Begeisterung der Kinder. Sie waren mit so viel Freude dabei. Zum Beispiel bei der Schlussszene, dem Lied «Stärn über Bärn», haben wir (Kari, Geist und Nationalrat) und die Kinder immer hinter den Kulissen lautstark mitgesungen.

Madeleine Rickenbacher lobte die ganze Crew des Freilichtspieles in den höchsten Tönen. Was bedeutet dieses Lob für Sie? Für die Crew?
Es ist für mich ein Zeichen, dass sie mit dem Ergebnis zufrieden ist. Und das ist, was für uns alle wichtig ist. Der Dällebach Kari auf dem Flüehli ist ihr Kind. Mit ihrem Engagement und ihrer Begeisterung für das Projekt ist das Ganze erst realisierbar geworden. Sie hat so viel Zeit und Kraft eingesetzt. Und so macht es mich glücklich, sie zufrieden zu sehen.
Es ist immer wieder toll und bewundernswert, wie viele Leute sich für die Freilichtspiele auf dem Flüehli engagieren. Fast die ganze Gemeinde ist dabei, aber auch viele Heimweh-Rütschelerinnen und -Rütscheler oder Freunde von ausserhalb. Den vielen sichtbaren und unsichtbaren Helferinnen und Helfern, sei es im OK, beim Aufbau und Einrichten der Infrastruktur auf dem Flüehli, beim Verkehrsdienst oder in der Gastronomie, ist wirklich grosser Dank geschuldet.

Wie waren die Reaktionen, privat wie auch am Spielort, jeweils nach den Aufführungen?
Die Reaktionen waren durchwegs positiv, viele waren sogar begeistert. Ich glaube es hat allen gefallen, was Madeleine Rickenbacher mit uns Spielern auf dem Flüehli vollbracht hat. Ein Bekannter hat mir anschliessend an eine Aufführung in einer E-Mail geschrieben, das sei Theater gewesen, wie er es gerne sehe. Ich glaube, so haben es viele empfunden. Und was will man mehr?

Alle 16 Aufführungen waren komplett ausgebucht und am Schluss durften sie alle jeweils Standing Ovations entgegennehmen. Wie fühlte sich das an? Was waren Ihre Gedanken dabei?
Es war natürlich ein grossartiges Gefühl. Es hat aber auch einmal mehr gezeigt, dass Veranstaltungen wie die Rütscheler Freilichtspiele einem grossen Bedürfnis entsprechen. Sie sind ein nicht wegzudenkender Teil unserer Kulturlandschaft. Der Applaus galt meiner Meinung nach nicht nur den Darstellerinnen und Darstellern die am Schluss vorne standen, sondern allen, die auf dem Flüehli mitgewirkt haben. Für viele war das Gesamtpaket ein Erlebnis, der Ort mit der wunderschönen Aussicht auf die Jurakette, die Gastronomie und die Aufführung.

Diesen Sommer wurden sehr viele Freilichtspiele aufgeführt. Manchmal hatte man den Eindruck, fast in jedem Dorf. Besteht da nicht die Gefahr der Übersättigung? Nimmt man sich so nicht gegenseitig das Publikum weg, oder droht es gar zu einer Massenware zu werden?
Nein, das glaube ich nicht. Jede Inszenierung ist individuell, der Spielort ist anders und die Ambiance macht es aus. Und durch die Pandemie schien es, als sei eher ein Hunger danach entstanden. Ich kenne jemanden, der war diesen Sommer an sieben verschiedenen Aufführungen.

Was war Ihr persönliches Highlight?
Die Schlussapplause waren für mich sehr beeindruckend und verursachten immer wieder eine Gänsehaut.

Sind Sie froh, dass es nun vorbei ist?
Ja, irgendwie schon. Aber es war enorm schön, den Dällebach Kari mit dem ganzen Team zu erarbeiten und dann auch zu spielen. Ebenfalls das Abräumen am Ende gehörte dazu und war ein wichtiger Abschluss. Alles in allem war es eine fantastische Zeit.

Besuchen Sie privat oft Theateraufführungen?
Ja. Ich versuche so oft wie möglich, Theateraufführung in der näheren und weiteren Umgebung zu besuchen. Diesen Sommer hielt sich der Besuch von Freilichtaufführungen schon etwas in Grenzen, aber zumindest habe ich unter anderem den «Dällebach Kari uf Bsuech ds Schwar-zeburg» gesehen, und es hat mir gut gefallen. Ich habe mit meinem Lebenspartner ein Schauspiel-Abo beim TOBS in Solothurn. So sehen wir regelmässig auch Stücke, welche wir nicht kennen und die auch nicht dem Volkstheater entsprechen. Ansonsten besuche ich auch gerne Opern und Musicals.

Was ist Ihr nächstes Schauspiel-Projekt?
Ein solches steht im Moment nicht in Aussicht. Ob und wann die Rütscheler Singlüt mit einem Theaterstück auf der Bühne zu sehen sein werden, ist noch nicht festgelegt. Zunächst steht bei mir aber wieder das Singen im Vordergrund. Einerseits mit den Rütscheler Singlüt. Da steht im November das Kirchenkonzert zusammen mit der Musikgesellschaft Rütschelen in Madiswil auf dem Programm. Andererseits mache ich Ende Oktober beim ChorusConventus im St. Urban, einem Projektchor, mit und steige wieder bei dem Solothurnern Vokalisten ein. Im übernächsten Jahr habe ich mich mal für die Aufführungen von «My fair Lady» der Musikgesellschaft Konkordia Egerkingen als Chorsänger angemeldet.

Und nun fahren Sie in die wohlverdienten Ferien?
Ja, wir besuchen die Passionsspiele in Oberammergau und machen dann noch einen Abstecher ins Südtirol. In der zweiten Woche haben wir noch ein paar Ausflüge von zu Hause aus geplant, schliesslich beginnen ja wieder die Singproben der Rütscheler Singlüt unter der Leitung unseres neuen Dirigenten Robin Nyffenegger.