• Kevin Heiniger in der heimischen Scalata-Kletterhalle mit seinen sechs SM-Goldmedaillen. · Bilder: Stefan Leuenberger, David Schweizer

  • Einige Eckpunkte der 20-jährigen Karriere von Sportkletterer Kevin Heiniger aus Schwarzenbach.

30.09.2022
Sport

«Schluss machen, wenn es mir noch Spass macht»

Der 29-jährige Schwarzenbacher Kevin Heiniger beendet seine 20-jährige Karriere im Sportklettern, die 163 nationale und internationale Wettkämpfe umfasste. Im Interview lässt der sechsfache Schweizer Meister seine Laufbahn Revue passieren.

Sportklettern · Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Kevin Heiniger, Sportkletterer aus Schwarzenbach

Am 10. September 2022 haben Sie in Lausanne mit einem 11. Rang an der Schweizer Meisterschaft im Bouldern ihre 20-jährige Wettkampfkarriere als Sportkletterer beendet. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Wand gingen?
Ich hatte gemischte Gefühle. Mir wurde noch einmal bewusst, wie viel Spass mir das Wettkampfklettern auch nach so langer Zeit immer noch macht. Gleichzeitig bemerkte ich, dass mein Entscheid richtig ist.

Was bewog Sie zum Rücktritt?
Es gibt keinen Hauptgrund. Viele kleine Sachen über einen längeren Zeitraum haben mir das Signal gegeben, dass es jetzt Zeit ist für einen neuen Abschnitt. Ich wollte nicht mit dem Rücktritt warten, bis mir das Sportklettern keine Freude mehr bereitet.

Als 9-Jähriger sind Sie zum Wettkampfklettern gestossen. «Schuld» daran war Ihr Vater Markus Heiniger.
Jawohl, das ist so, ganz klar. Nur einen kleinen Fussweg von meinem Zuhause entfernt leitet mein Vater seit Jahrzehnten die Scalata-Kletterhalle im Campus Perspektiven. So wurde ich früh mit dem Klettervirus infiziert. Meinen Eltern Yvonne und Markus habe ich enorm viel zu verdanken. Sie standen vom allerersten Moment bis zum Schluss immer hinter mir. Sie haben mich nie gepusht, sondern bei meinen Entscheidungen immer unterstützt. Dafür bin ich ihnen extrem dankbar.

Sie waren sehr trainingsfleissig und jede freie Minute in der Kletterhalle oder irgendwo im Jura an einer Felswand anzutreffen. Was fasziniert Sie so sehr am Klettern?
Die grosse Bewegungsvielfalt, welche das Klettern bietet. Technik, Kraft, Ausdauer, Cleverness und mentale Stärke – alles wird verlangt. All diese Aspekte fliessen in meine Bewegungen an der Wand oder am Fels und vermitteln mir einfach ein schönes Gefühl. Weiter ist es toll und zugleich fordernd, immer nach neuen Kletterrouten zu suchen – und ein Erlebnis, sie am Ende dann ohne Hilfe und Pause an einem Stück klettern zu können. Beim Felsenklettern sind die Routen fast unendlich. Draussen ist es ein Wettkampf ohne Gegner. Mitten in der Natur kämpft man nur darum, sich selber zu verbessern. Einfach wunderschön.

Haben Sie die Hausaufgaben oft vernachlässigt?
(lacht) Ich habe ganz sicher nicht immer gelernt. Ich hatte das Glück, dass mir das Lernen ziemlich einfach von der Hand ging. Und mir war von Anfang an klar, dass ich in der Schule Leistung abliefern muss, um meine grosse Passion – das Klettern – in der Freizeit in diesem Umfang ausüben zu dürfen.

Und wie war es später im Beruf als Schreiner? Konnten Sie Ihren Arbeitgeber immer zufrieden stellen?
Das war ein Glücksfall. Ich konnte bereits die Lehre bei Holzhandwerk Peter Lüthi in Schwarzenbach wenige Meter von meinem Wohnort und der Kletterhalle absolvieren. Das war ideal. Auch wenn ich wegen Wettkämpfen kurzfristig frei nehmen musste, gab es von Peter Lüthi nie ein Nein. Mein Arbeitgeber hat mich während meiner Laufbahn, so gut es ging, unterstützt. Ich versuchte mich zu revanchieren, indem ich in der Off-Season auch mal mehr als meine drei fixen Arbeitstage im Einsatz stand. Und ich bin der Firma bis heute treu geblieben. Ich arbeite immer noch während drei Tagen bei Peter Lüthi. Mit dem Karrierenende habe ich neu damit begonnen, einen Tag pro Woche in der Kletterhalle «O’Bloc» in Ostermundigen als Routenbauer zu arbeiten.

Im Klettern ging es nicht nur an der Wand steil aufwärts. Im November 2004 wurden Sie als 11-Jähriger in Schlieren im Schwierigkeitsklettern – Lead bezeichnet – erstmals Schweizer Meister. Erinnern Sie sich an diesen einschneidenden Moment Ihrer Karriere?
Ich erinnere mich vor allem an meinen allerersten Wettkampf am 2. November 2002 in Langnau. Ich konnte am damaligen Regio-Cup auf Anhieb gewinnen. 2003 gewann ich in Sumiswald an meiner ersten SM-Teilnahme die Silbermedaille. Umso schöner war es dann natürlich ein Jahr später, erstmals SM-Gold in Empfang nehmen zu dürfen.

Sie haben an der nationalen Kletterserie – dem Swiss Cup – 44 Podestplätze erzielt, zehn davon waren Siege. Insgesamt wurden Sie sechs Mal Schweizer Meister, haben total 26 Medaillen an Schweizer Meisterschaften gewonnen. Welcher dieser goldenen Tag, auf Schweizer Ebene steht bei Ihnen zuoberst?
Das ist ganz klar jener vom Mai 2015. Damals wurde ich in Zürich bei der Elite Schweizer Meister in meiner Hauptdisziplin Bouldern. Das Teilnehmerfeld war an dieser SM sehr stark. Der Stellenwert dieser SM-Goldmedaille ist natürlich höher als die vier Titelgewinne beim Nachwuchs. Meinen letzten SM-Titel holte ich im Oktober 2017, als ich in Zürich bei der Elite Gold in der Disziplin Speed holte.

Das Spezielle an den sechs nationalen Titeln ist die Tatsache, dass Sie mindestens einmal in jeder der drei Sportkletter-Disziplinen (Lead, Speed und Bouldern) Gold holten.
Im Verlauf der Jahre habe ich mich auf das Bouldern spezialisiert. Umso schöner ist es im Nachhinein betrachtet, überall erfolgreich gewesen zu sein – auch dort, wo man sicher viel weniger trainiert hat. Ich hatte bei diesen Goldgewinnen allerdings auch immer das nötige Glück auf meiner Seite.

Trotz dieser Vielseitigkeit waren Sie bei den Qualifikationswettkämpfen für die Olympischen Spiele 2021, wo das Sportklettern Premiere feierte, nie ein Thema.
Weil nur ein Medaillensatz für das Sportklettern gesprochen wurde, musste ein Format geschaffen werden, welches sämtliche Disziplinen beinhaltet. So wurde quasi eine neue Disziplin erschaffen. Ich sah allerdings den Sinn nicht, vier Jahre auf einen einzigen Wettkampf hin zu trainieren, da es sonst in diesem Format keine Wettmessen gab. Zudem war der Startplatz gar nicht garantiert. Der Modus besagte nämlich, dass nur die 20 Besten der Welt an den Olympischen Spielen antreten können. Die Schweiz hatte also nicht einmal einen fixen Startplatz. Mein Entscheid, diesen Quali-
fikationsmarathon gar nicht mitzumachen, erwies sich als richtig. Schliesslich schaffte es nämlich kein Schweizer Sportkletterer, sich für den Olympischen Wettkampf zu qualifizieren.

71 internationale Starts umfasst Ihre internationale Laufbahn. Wie viele Länder haben Sie dank dem Klettern kennengelernt?
Australien, Singapur, China, Japan, Indien und die USA waren sicher speziell. Ich habe dank dem Sportklettern in kurzer Zeit die Welt bereist. Eine ganz besondere Station war sicher Vail im Juni 2017. Dies hatte aber vor allem mit dem Sport zu tun. Ich konnte dort am Boulder-Weltcup mit einem 14. Rang meine beste internationale Klassierung auf Elitestufe erreichen.

Nennen Sie das verrückteste und das lustigste Erlebnis auf Ihrer langen «Kletter-Welttour»?
Die Einreise mittels Fingerabdruck stellte für mich immer ein grosses Problem dar, weil meine vom Sportklettern total abgewetzten Fingerspitzen bei dieser Prüfung immer durchfielen.
Bei einem Wettkampf in China freute ich mich sehr auf das Frühstück. Als ich die Hühnerköpfe und dergleichen erblickte, wurde mir ganz anders. Ich habe dann während Tagen nur noch Wassermelone und die mitgebrachten Snickers-Schokoriegel gegessen.

Gab es auch dunkle Momente in Ihrer Laufbahn?
Kleine Motivationstiefs, die nach ein paar Tagen oder auch einmal nach ein paar Wochen wieder weg sind, kennt jeder Sportler. Ich hatte aber immer grossen Spass beim Ausüben meiner Sportart. Gedanken ans Aufhören hatte ich – bis jetzt beim Rücktritt – nie.

Von grösseren Verletzungen wurden Sie auf Ihrem langen Weg verschont.
Bis auf eine Fingerverletzung Ende der Saison 2018 bin ich nie durch Verletzungen gestoppt worden. Ich habe keine meiner 20 Saisons verletzt auslassen müssen. Ich hatte grosses Glück.

Als junger Bursche schwärmten Sie von der Kletterkollegin Christina Schmid aus Neuenegg. Hat sich da im Verlauf der Jahre etwas ergeben?
(lacht) Da ist nie etwas daraus geworden. Ich war aber auch erst 11 Jahre alt. Wir pflegen auch keinen Kontakt über Social-Media. Ich sehe sie höchstens ab und zu in der Kletterhalle. Dies ist aber auch völlig okay, da ich jetzt eine liebe Partnerin habe.

Bei der Elite haben Sie international viele gute Resultate erzielt. Ganz nach vorne zu den weltbesten Sportkletterern reichte es aber nie. Anders war das im Nachwuchsalter. Im Sommer 2012 haben Sie als 19-Jähriger in Frankreich einen Europacup-Wettkampf bei den Junioren gewonnen. War dies Ihr Masterpiece auf internationaler Bühne?
L’Argentière war schon ein Höhepunkt in meiner Karriere. Sowieso lief es mir im Jahr 2012 sehr gut. Ich schaffte damals auch noch einen 2. Rang beim Junioren-Europa-Cup in Grindelwald und konnte am Ende sogar die Europa-Cup-Gesamtwertung gewinnen. Diese Wettkämpfe sind in meinem Gedächtnis sehr präsent. Es war die Krönung meiner Nachwuchs-Laufbahn.

Jetzt ist Schluss. Wer allerdings 20 Jahre lang auf höchstem Niveau Sport treibt, kann nicht einfach nichts mehr tun, oder?
Das Felsenklettern mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden werde ich weiterhin auf Funbasis ausüben. Das Erlebnis mit Kollegen draussen in der Natur wird nun sicher mehr ins Zentrum rücken. Einen Trainerjob im Sportklettern werde ich nicht ausüben, weil es mir nicht zusagt.

Auf was freuen Sie sich besonders, für das Sie vorher kaum Zeit fanden?
Ich werde sicher mehr auf den Skis stehen. Im letzten Winter habe ich sogar mit Skitouren begonnen. Vom Kindergartenalter bis in die 3. Klasse war ich in der Geräteriege. Dort bin ich nun seit drei Jahren wieder dabei, um einen sportlichen Ausgleich zum Klettern zu haben.

Im nächsten Sommer werden Sie 30 Jahre alt. Machen Sie sich Gedanken betreffend der Familienplanung?
Ich geniesse die Zeit mit meiner Partnerin, die ich seit Anfang des Jahres habe. Die Familienplanung ist momentan sicher noch kein Thema.