• Béatrice Lüthi in der Produktion der Lüthi Aufzüge AG in Lindenholz (Madiswil). Nach schwierigen Zeiten hofft sie auf den baldigen Turnaround. · Bild: Thomas Peter

28.01.2019
Oberaargau

Schnäppchenjäger zwingen Lüthi Aufzüge zum Umdenken

Der «Geiz-ist-geil»-Trend fordert Industriebetriebe im Oberaargau zum Handeln heraus. Ein Preiszerfall von 30 Prozent machte der Lüthi Aufzüge AG in Lindenholz das Marktüberleben schwer. «Es dauert seine Zeit, bis Kunden merken, dass man mit Billigprodukten nicht immer Geld spart», weist Geschäftsführerin Béatrice Lüthi auf oft hohe Unterhaltskosten hin. Ihre Firma stand zwar nicht wirklich vor dem Aus, war aber zu Anpassungen gezwungen und hat nun wieder den Lift nach oben bestiegen.

Madiswil · 60 Jahre Lüthi Aufzüge AG in Lindenholz: Das musste 2016 einfach gefeiert werden. Denn die Entwicklung und Geschichte der Firma gab ausgiebig Anlass für ein würdiges Fest. Der 1956 von Friedrich Lüthi gegründete Einmannbetrieb hatte sich zu einem florierenden Vorzeige-KMU im Oberaargau mit bis zu 61 Angestellten gemausert, der mit seinen nach Kundenwunsch massangefertigten Aufzügen in der Region erfolgreich einen Nischenmarkt bediente. Doch just im Zeitraum des Firmenjubiläums gewannen Marktphänomene Oberhand, die einem die Festlaune so richtig hätten vermiesen können.

Geiz ist geil
«Der ‹Geiz-ist-geil›-Trend, den man vom Konsumgütermarkt her kennt, ist endgültig in der Industrie angekommen», bringt es Béatrice Lüthi markig auf den Punkt. Sie hat 1997 vom Gründer- und leiblichen Vater Friedrich Lüthi die Firmenleitung übernommen. «Wir haben jahrelang unter dieser Schnäppchenjagd gelitten», erklärt die 54-Jährige, die als erste Frau den Wirtschaftsverband Oberaargau seit 2016 präsidiert.
Der Prozess habe vor etwa acht Jahren schleichend begonnen und sich inzwischen auf alle Industriezweige ausgeweitet. «Vor gut zwei Jahren sind die Preise bei neuen Aufzügen um rund 30 Prozent eingebrochen.» Das habe Spuren hinterlassen, auch bei der Lüthi Aufzüge AG. «Wir waren gezwungen umzustrukturieren, um preislich mithalten zu können, sonst wären wir gar nicht mehr zum Zuge gekommen», so Béatrice Lüthi. «Die Firma war nie in ihrer Existenz bedroht, musste sich aber neu aufstellen.»

Mehr Techniker
Dabei mussten auch Wege beschritten werden, die der Firmenphilosophie gänzlich widersprechen. Als Nischenmarktplayer ist man vor allem auf Eigenentwicklungen spezialisiert, die individuell auf Kundenwünsche angepasst werden. «Das ist und bleibt bei uns auch so. Doch mussten wir nicht nur das Sortiment reduzieren, sondern auch mehr Komponenten aus dem Ausland importieren, die wir zuvor alle selber produziert haben.» Aus diesem Grund fand bei ihrer Firma eine Umverlagerung statt: 10 Prozent weniger Anlage- und Apparatebauer, 10 Prozent mehr Konstrukteure und Techniker. Entlassungen gab es keine, doch sank die Mitarbeiterzahl dank natürlicher Fluktuation vom Allzeithoch 61 im Jahre 2010 auf gegenwärtig 54. Ähnlich sehe der Trend zu mehr Bürojobs auch bei anderen Oberaargauer Betrieben aus, während die Produktion ins Ausland abwandert.

Etiketten-Schwindel
Ein zweites Phänomen bereitet Béatrice Lüthi hier Sorgen: Der ständige Ruf nach Zertifikaten. «Hersteller können ihre standardisierten Module in grosser Stückzahl zertifizieren lassen. Bei Einzelanfertigungen kann man dies kaum finanzieren», gibt sie zu bedenken. Doch viele Kunden kaufen nichts ohne Zertifikat, auch wenn das andere Produkt optimal auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmt wäre. «Ein Zertifikat heisst aber noch lange nicht, dass ein Produkt qualitativ besser und vor allem kundengerecht ist», so Béatrice Lüthi. Einen weiteren Etiketten-Schwindel macht sie beim sogenannten Öko-Label aus. «Hauptsache, es tönt gut. Doch wie nachhaltig und ökologisch ist ein Liftantrieb, wenn er nach Hälfte der vorgesehenen Nutzungszeit ersetzt werden muss?» Die graue Energie mit Ressourcenverbrauch gehöre zwingend in diese Ökobilanz.

Kunde wird entmündigt
Das Schlimme an dieser Standardisierung und Zertifiziererei sei, dass «heute einige Architekten nach dem bequemen Copy-Paste-Prinzip vorgehen: Sie planen einfach irgend einen Standardschacht, statt zuerst den Lift auszuwählen, der den Wünschen des Kunden entspricht, und erst dann den dazu passenden Schacht planen», findet Béatrice Lüthi. «Standard bedeutet oft nicht einmal, dass der Lift normenkonform ist.» Der Kunde werde so richtiggehend entmündigt, da man ihn und seine Bedürfnisse gar nicht mit einbeziehe und bessere Varianten von vornherein ausschliesse. «Generalunternehmer stehen unter grossem Kostendruck. Sie interessiert nur der Kaufpreis, nicht aber, was das Billigprodukt im Unterhalt kostet.»
Fixiert auf Quartalsgewinne und entsprechende Bonifikationen fehle das langfristige Denken: Nach mir die Sintflut, was nachher ist, geht mich nichts mehr an, weil ich dann sowieso nicht mehr bei der Firma bin. «Und die Industrie richtet sich danach, produziert zwar billig, aber nicht qualitätsbewusst», so Béatrice Lüthi. Zudem komme es auch vor, dass für den Ersatz eines Aufzuges ein preisgünstiges Standardprodukt gewählt werde, das gar nicht zum bestehenden Schacht passt. Die notwendigen baulichen Anpassungen könnten zum Teil höhere Kosten verursachen als der Preis des Liftes.

Baldiger Turnaround
Doch eine Trendwende sei erreicht: «Es dauerte seine Zeit, bis die Architekten wie die Kunden merkten, dass billiger langfristig nicht günstiger ist», ist Béatrice Lüthi zuversichtlicher als auch schon. «Wir sind immer noch daran, den Turnaround zu realisieren. Der Nischenmarkt, in dem wir unsere selbst entwickelten Massanfertigungen anbieten können, wird immer kleiner.» Wichtig sei deshalb, mit dem Endkunden direkt statt über Architekten den Kontakt zu finden, um einerseits seine Bedürfnisse abzuklären und andererseits aufzeigen zu können, was heutzutage im Liftbau alles möglich ist. Béatrice Lüthi ist aber optimistisch und führt gegenwärtig Bewerbungsgespräche, um zusätzliche Mitarbeiter einzustellen.

Von Thomas Peter