• Für Streicheleinheiten findet Annemarie Schär bei den Meerschweinchen immer Zeit.

  • Trotz grosser Sorgen um die Existenz ihres Tierferienhofes Waldeck blüht Annemarie Schär bei der Betreuung der Ferientiere auf. · Bilder: Marion Heiniger

  • Durch den Onlinehandel sind die Umsätze im Ladenlokal massiv eingebrochen.

11.01.2021
Emmental

Sie kämpft für ihren Lebenstraum

Die Corona-Krise trifft viele Kleinunternehmer hart. Betroffen ist auch der Tierferienhof Waldeck im Weier. Seit dem Lockdown im März 2020 werden nur noch wenige Ferientiere abgegeben. Die Umsätze brachen um 70 Prozent ein. Doch trotz düsterer Aussichten ist Aufgeben für die Unternehmerin Annemarie Schär keine Option.

Weier im Emmental · Vor zehn Jahren, als Annemarie Schär das Hundeferienheim im Weier von ihren Eltern Trudi und Ernst Schär übernommen hatte, war die Welt noch in Ordnung. Die damals 41-jährige junge Frau hat aus dem Ferienheim, das damals Platz für etwa 20 Hunde bot, ein florierendes Unternehmen aufgebaut. Heute können im Tierferienhof Waldeck 100 Hunde, 80 Katzen und fast unendlich viele Nager, Reptilien und kleinere Zootiere ihre Ferien verbringen. Dann kam am 16. März 2020 der Corona-Lockdown. Innerhalb von drei Tagen wurden praktisch alle gebuchten Ferienplätze annulliert. Der Umsatz brach von einem Moment auf den anderen um 70 Prozent ein.
Zwar ist das Bellen einiger weniger Tierschutzhunde noch immer zu vernehmen, auch zwei alte Papageien begrüssen die Besucher mit lautem Kreischen, doch ansonsten ist es in der Waldeck ungewohnt still. Dort, wo normalerweise ein geschäftiges Treiben der Tierpfleger herrschte, begegnet man heute auf dem Weg zur Anmeldung kaum mehr jemandem.
Die Betreuung der momentan fünf Hunde, drei Katzen und zwei Meerschweinchen schafft Annemarie Schär fast im Alleingang. Ihre Agenda ist leer. Nur noch einige wenige Tiere werden ab und zu spontan und ohne Voranmeldung für ein paar Tage Urlaub vorbeigebracht. «Für unsere Unkompliziertheit sind wir bekannt», sagt Annemarie Schär mit einem gequälten Lächeln. Und wie dies bestätigt werden müsste, fährt in diesem Moment ein Auto vor und ein Mann streckt den Kopf kurz zur Anmeldung herein. «Ich bringe meinen Hund bis Samstag, ist das okay?», fragt er. «Ja, ja. Bring ihn bitte gleich nach hinten», gibt ihm Annemarie Schär zur Antwort. Der Mann lädt seinen Airedale Terrier aus dem Kofferraum seines Wagens und verschwindet mit ihm um die Ecke in Richtung Hundehaus.
Annemarie Schär setzt sich im Aufenthaltsraum an den langen Holztisch, gleich neben die beiden Meerschweinchen, die für ein paar Tage in den Ferien sind. Während draussen Minus- temperaturen herrschen und eine dichte Nebeldecke die Sonne verdeckt, ist es drinnen angenehm warm. «Wir beheizen nur noch wenige Räume, es sind ja nicht mehr viele Gäste hier, ich spare, wo ich nur kann», sagt sie traurig. Denn nicht nur die Frühlingsferien bereiteten ihr letztes Jahr kurz nach dem Lockdown Sorgen, auch die Belegung der Ferienplätze während den Sommerferien, den Herbstferien und den Weihnachtsferien war alles andere als zufriedenstellend. «Während der Herbstferienzeit hatten wir gerade einmal 20 Hunde, wo in anderen Jahren zwischen 60 bis 80 Hunde angemeldet waren», erzählt die ausgebildete Tierpflegerin.
Obschon grösstenteils die Ferientiere wegblieben, waren im Frühling letztes Jahr noch immer viele Tierschutztiere im Tierheim, die keine Besitzer hatten. Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen, Mäuse, Papageien und sogar zwei alte Schlangen. Sie alle wollten etwas zu essen haben. Nur die Ferientiere fehlten, welche die Existenz des Tierferienhofs Waldeck garantieren sollten. So entschied sich Annemarie Schär, ab sofort keine Tiere mehr vom Tierschutz anzunehmen und für diejenigen, die noch dort waren, einen guten Platz zu finden. «Für fast dreissig Tiere haben wir einen sehr guten Platz gefunden. Nur die Papageien und die beiden alten Schlangen sind noch hier», freut sie sich. Um die Unterbringung und die Tierarztkosten dieser herrenlosen Tiere finanzieren zu können, wurde vor vier Jahren der Verein «Tierhilfe Waldeck» gegründet. «So können Spender die Spenden als gemeinnützige Zuwendung bei den Steuern in Abzug bringen und alles kommt den Tieren zugute», erklärt Annemarie Schär.

Erfolgreiche Spendensammlungen
Doch um weitere Spenden zu bitten, fiel Annemarie Schär anfangs sehr schwer. «Es ist eigentlich nicht meine Art, andere um Geld zu bitten. Ich wollte immer unabhängig bleiben und von niemandem abhängig sein», erklärt sie. Dennoch führte in der Krise kein Weg mehr daran vorbei.
Sie entschied sich Mitte Dezember, bei der Crowdfunding Plattform «lokalhelden.ch» einen Versuch zu starten – mit Erfolg. Bisher wurden über 6600 Franken gesammelt. Das Projekt läuft noch bis zum 13. Februar. Eine weitere Spendenaktion hatte Niklaus Bärtschi, Inhaber der Bärtschi Transport und Event GmbH Langnau und ein langjähriger Freund von Annemarie Schär, Ende Dezember lanciert. Er verkaufte an den letzten beiden Tagen im Jahr Berner Anke-Züpfen für zehn Franken, die er in seiner Catering-Küche gebacken hatte. Butter, Milch und Mehl wurden von umliegenden Firmen gespendet.
Der Erlös kam vollumfänglich dem Tierferienhof Waldeck zugute. An fünf verschiedenen Standorten wurden gesamthaft 250 Züpfen verkauft.
Viele spendeten noch zusätzlich und so konnte Bärtschi im neuen Jahr 3500 Franken an Annemarie Schär übergeben. «Ich war überrascht, wie viele Züpfen verkauft wurden und bin unendlich dankbar für die grosse Solidarität», freut sich Annemarie Schär.

Keine Hilfe durch Bund
In all den Jahren hat sich Annemarie Schär mit ihrem Tierferienhof einen guten Namen verdient. Trotz der nicht gerade zentralen Lage konnte sie einen grossen und treuen Kundenstamm auch ausserhalb der Region aufbauen.
Dabei hat sie sich bei den Hunden auf Einzelhaltung konzentriert. «Viele bieten unterdessen Kleinrudelhaltung an, wir wollten uns davon abheben», erklärt sie. So können im Tierferienhof Waldeck auch Hunde aufgenommen werden, die sich nicht sehr gut mit anderen Artgenossen vertragen, läufig oder aggressiv sind. Immer wieder beherbergt sie auch Polizei- und Ausstellungshunde, die besser in der Einzelhaltung aufgehoben sind.
Das schliesst aber ein Angebot der Rudelhaltung nicht aus, ein Projekt, das Annemarie Schär bereits seit Längerem im Kopf, bisher aber noch nicht umgesetzt hat. «Platz dazu hätten wir genug», sagt sie und zeigt auf die gegenüberliegende grosse Zwingeranlage, in der an diesem Tag ihr eigener Hund hinter dem Zaun sitzt.
Hat die Mutter von drei Töchtern denn trotz der prekären wirtschaftlichen Lage noch Zukunftspläne? «Ja, die Hoffnung stirbt doch immer erst zum Schluss», gibt sich Annemarie Schär kämpferisch, obwohl die Umstände durch die Corona-Pandemie auch nach bald einem Jahr noch immer nicht sehr hoffnungsvoll sind. Unzählige Male telefonierte sie bereits mit dem zuständigen Bundesamt in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung. Doch Hilfe hatte sie dort bisher keine erhalten.
«Ich hatte jedes Mal eine andere Person am Telefon. Einer sagte mir, ich solle doch die stornierten Reservationen zu einem Teil in Rechnung stellen. Hätte ich das gemacht, wären mit grosser Wahrscheinlichkeit unsere Kunden nicht mehr wiedergekommen», ist Annemarie Schär überzeugt. Ein anderes Mal wurde ihr gesagt, sie solle überlegen, ob es das Tierferienheim überhaupt noch brauche. Wieder eine andere Person legte ihr nahe, sie solle Konkurs anmelden.
Annemarie Schär kam ins Zweifeln. Hatte der Herr vom Amt etwa doch recht? Brauchte es den Tierferienhof Waldeck wirklich noch? Solche und ähnliche Fragen gingen ihr immer wieder durch den Kopf. Doch sie kam zum Schluss, weiter zu kämpfen, nicht aufzugeben und alles daran zu setzen, den Tieren auch weiterhin einen guten Ferienplatz zu bieten und dass herrenlose Tiere auch in Zukunft wieder aufgenommen werden können.
Durch die fehlenden Einnahmen musste sie an ihr Erspartes gehen, um die Fixkosten decken zu können. Geld, das sie eigentlich in den Umbau des Elternhauses investieren wollte, das gleich neben dem Tierferienhof steht. Mit einer zusätzlich eingebauten Wohnung hätte sie mit ihrer Familie und ihren Eltern unter einem Dach leben können.
Doch statt ihren Traum verwirklichen zu können, liess sie die Corona-Krise nachts nicht mehr schlafen. «Ich hatte Angst, dass ich meinen Angestellten irgendwann die Löhne nicht mehr bezahlen könnte», gibt sie unumwunden zu. Deshalb traf sie die für sie einzige mögliche Entscheidung und kündete schweren Herzens neun ihrer Angestellten. Nur die beiden Lehrtöchter, welche im zweiten und dritten Lehrjahr sind, greifen ihr auch noch weiterhin tatkräftig unter die Arme. «Ich bin sehr froh, dass unterdessen alle bis auf eine Person wieder eine Anstellung gefunden haben», zeigt sich Annemarie Schär erleichtert.

Aufgeben ist keine Option
Trotz der andauernden schwierigen Situation schmiedet Annemarie Schär weiter Pläne für die Zukunft. Durch den Onlinehandel sind die Verkaufsumsätze in ihrem gut eingerichteten Verkaufsladen in den letzten Jahren stark eingebrochen. «Er soll in zwei bis drei Jahren massiv kleiner werden und nur noch das enthalten, was im Ferienhof-Alltag benötigt wird», verrät sie. In die bestehenden Räumlichkeiten des Ladens würde sie gerne danach eine Hundezucht integrieren. Welche Rasse es sein wird, weiss sie noch nicht genau. Weiter schwebt ihr ein Raum für Seminare vor. Damit könnte sie eine grosse Nachfrage der Hundelehrer abdecken. Ebenso sieht sie die Möglichkeit, auf ihrem grosszügigen Gelände den Platz für Ankörungen (Auswahl geeigneter Tiere zur Zucht durch fachkundige Richter) anzubieten. Bereits heute vermietet sie ihre drei grossen Hunde-Spielwiesen für fünf Franken die Stunde. Ein Angebot, das rege benutzt wird. Obwohl viele ihrer Pläne unterdessen in weite Ferne gerückt sind und die finanzielle Lage äusserst unsicher ist, ist aufgeben für Annemarie Schär keine Option. Für ihren Lebenstraum wird sie immer weiterkämpfen.

Infos: Spenden an Verein Tierhilfe Waldeck: Postkonto 15-423823-8. Weitere Infos unter: www.tfhwaldeck.ch

Von Marion Heiniger