• Sabrina Ingold und Theo Zehnder mit Kuh Gitarra, die vor sechs Jahren als Kuhkalb aus der Mutterkuhhaltung vom Bündnerland nach Neuligen kam. · Bild: Marion Heiniger

  • Bereits fünf Tage nach der Saat schauten die ersten Kichererbsenpflänzchen aus der Erde.

  • Die Kichererbsen werden in die Sämaschine abgefüllt. · Bilder: zvg

07.01.2021
Oberaargau

Sie lieben die Herausforderung

Für Theo Zehnder und Sabrina Ingold ist Bio in der Landwirtschaft nicht nur ein Label, sie leben es mit Überzeugung. Anstatt mit der chemischen Keule, rücken sie dem Unkraut mit Maschinen und Handarbeit zu Leibe. Das junge Paar ist alles andere als gewöhnlich. Sie experimentieren gerne mit aussergewöhnlichen Gemüse- und Obstsorten und haben dieses Jahr zum ersten Mal erfolgreich Kichererbsen angebaut.

Eriswil · Der Bauernhof von Theo Zehnder und Sabrina Ingold liegt unter einer dicken Schneedecke. Vor dem Haus, auf dem Fenstersims, sitzt eine schwarze Katze. Auf den ersten Blick ein normaler Bauernhof. Doch ganz so gewöhnlich ist er dann doch nicht. Der kleine Garten vor dem Haus lässt es bereits erahnen. Etwas unordentlich sieht er aus, so wie es sich für einen Biogarten um diese Jahreszeit gehört. Bio ist auch alles andere auf dem Hof. Neben dem, dass sich die jungen Bauersleute tatkräftig für die Natur einsetzen, sind sie auch sehr experimentierfreudig. «Der Markt ist mit herkömmlichen Produkten wie beispielsweise Weizen oder Dinkel gesättigt.
Zwar sind die Absatzpreise noch in Ordnung, aber nur solche Produkte auf unserem eher kleinen Betrieb anzupflanzen ist nicht zielführend», sagt Theo Zehnder. Um dem Gewöhnlichen entgegenzuwirken, probieren er und seine Lebenspartnerin immer wieder etwas Neues aus. Als der Samen-Händler letztes Jahr auf den Hof kam, und der junge Biobauer ihn nach etwas Speziellem fragte, empfahl ihm dieser Kichererbsen. Zwar etwas skeptisch, ob diese Pflanze, die man sonst fast ausschliesslich aus wärmeren Ländern kennt, auch zuhinterst im Eriswiler Neuligen, auf 800 Metern Höhe wächst, dort wo das Klima rau ist und die Sonne erst spät ihre Strahlen zeigt, entschied sich der 26-jährige Landwirt dennoch für Samen einer kleineren und robusteren Sorte.
Die Kichererbse hat eine kurze Vegetationszeit von rund 100 Tagen. Das könnte dennoch klappen, dachte sich Theo Zehnder und baute sie diesen Frühling Ende Mai versuchsweise auf einer Fläche von 16 Aren an. Doch die Reifezeit dauerte um einiges länger, wie sich herausstellte. «Aus irgendeinem Grund hat sich die Pflanze bei uns sehr wohl gefühlt und ist einfach immer weitergewachsen», lacht Theo Zehnder.

Warme Luft für die Erbsen
Fünf Tage nach der Saat schauten bereits die ersten Pflänzchen aus der Erde hervor. Auch ein plötzlicher Kälteeinbruch im Juni machten der Kichererbsen-Pflanze keinen Eindruck. Spannend zu beobachten war, dass Ende Sommer die Kichererbsen im unteren Teil bereits reif waren, doch die Pflanzen im oberen Bereich immer noch weiterblühten. «Die Reifung der unteren Erbsen hatte einfach gestoppt, bis die oberen ebenfalls soweit waren», zeigt sich Theo Zehnder fasziniert.
Richtig ausgereift waren alle Kichererbsen erst im Oktober, als es das erste Mal regnete und die Temperatur unter zehn Grad fiel. Da zu diesem Zeitpunkt die Mähdrescher bereits eingewintert waren, wollte Theo Zehnder seinen ersten Anbauversuch aufgeben. Doch da hatte er die Rechnung ohne seinen Vater Johann Ulrich Zehnder gemacht, der während seiner Zeit als Betriebsleiter, auch das eine oder andere Experiment durchführte. So wurden die Kichererbsen kurzerhand mit dem Motormäher gemäht, mit dem Ladewagen nach Hause geführt und mit einer alten Dreschmaschine von der Pflanze getrennt. «Nach der Ernte muss es schnell gehen, damit die im Kern noch feuchten Erbsen nicht schimmeln», weiss Theo Zehnder. Auch hierzu war aber schnell eine Lösung gefunden.
Sie leerten die Erbsen in eine Paloxe mit engmaschigem Bodengitter und montierten darüber zur Lüftung ein Warmwasser-Heizregister. «Mithilfe der Holzheizung haben wir heisses Wasser durch die Leitungen geleitet und konnten so die warme Luft durch die Erbsen blasen», erklärt Theo Zehnder. Innerhalb weniger Stunden waren sie bereits angetrocknet. Ausgetrocknet waren sie dagegen erst nach zwei Tagen. «Nach dem Putzen der Erbsen hielten wir 35 Kilogramm in der Hand, das war kein Meisterertrag», lacht der junge Biobauer.
Dennoch war das Experiment erfolgreich. Die Erfahrungen, welche beim Versuchsprojekt gesammelt wurden, können nun bei der nächsten Kichererbsen-Aussaat berücksichtigt werden. «Wir haben gesehen, dass wir zu eng gesät hatten. Dadurch konnte die Erde nicht richtig trocknen und sich Krankheiten entwickeln», erzählt Theo Zehnder. Die Pflanze der Kichererbse wird zwischen 60 und 70 Zentimeter hoch, ist relativ mächtig und braucht deshalb genügend Platz, um zu wachsen. Problematisch war durch die eng gesäten Pflanzen auch die Unkrautbekämpfung, die auf dem Zehnder Biohof nicht mit Pflanzenschutzmitteln, sondern von Hand oder mit der Maschine erledigt wird. «Als Biobetrieb setzen wir überhaupt keine Pflanzenschutzmittel ein, auch nicht solche, die für den Bioanbau zugelassen wären. Das ist unsere Philosophie», gibt sich Zehnder überzeugt. Die Kichererbsen werden nach der Ernte unverarbeitet ab Hof verkauft.
«Das Interesse ist da», verrät Sabrina Ingold, «denn wir sind in der Region die Ersten, die Kichererbsen anbauen».

Blaue und rote Kartoffeln
Die Experimentierfreude von Theo Zehnder und Sabrina Ingold macht jedoch bei den Kichererbsen nicht halt. Aussergewöhnlich sind teilweise auch die Gemüse- und Früchtesorten, die jeweils im Sommer und Herbst auf dem Biohof im Obertal wachsen. Angebaut wird Traditionelles von der Bohne bis hin zur Zwiebel, aber auch seltene, meist unbekannte Sorten, wenn möglich aus dem «ProSpecie­Rara» Sortiment.
Bei den Kartoffeln beispielsweise wird neben den bekannten Sorten «Laura» und «Charlotte», auch die rotfleischige «Heiderot» oder die blaufleischige «Blaue Anneliese» angebaut. «Besonders schön sehen die Kartoffeln beim Gratin aus, wenn man weisse, rote und blaue abwechselnd einschichtet», schwärmt Sabrina Ingold. Eine grosse Vielfalt bieten sie auch bei den Rüebli an. Hier wird unter anderem die gelbe «Pfälzer», die weisse und sehr süsse «Küttiger» sowie die rosarote «Gniff» und die fast dunkelviolette «Purple Haze» angepflanzt.
Besonders stolz ist Sabrina Ingold aber auf ihre unterschiedlichen Tomaten, die in einem Folientunnel gedeihen. Von «Ochsenherz», «Berner Rose», «Die Gelbe von Thun» bis hin zu «Froschkönigs Goldkugel», werden auf dem Biohof im Obertal viele unbekannte Tomatensorten direkt verkauft. Auch beim Gemüse- und Obstanbau verzichten die beiden komplett auf Pflanzenschutzmittel.
«Es tut zwar manchmal weh, wenn beispielsweise die Kirschenernte wegen der Kirschessigfliege komplett ausfällt, aber so ist die Natur. Sie funktioniert nicht immer so, wie wir es gerne hätten». In naher Zukunft möchten sie ihr Obst und Gemüse neben dem Direktverkauf auf dem Hof auch wöchentlich auf einem kleinen Markt anbieten, den sie zusammen mit einem befreundeten Landwirt ins Leben rufen möchten. «Spruchreif ist aber noch nichts», geben sich beide noch bedeckt.
 
Den «Ärmel reingenommen»
Theo Zehnder ist gelernter Bio-Landwirt und hat anfangs dieses Jahres den Bauernbetrieb von seinem Vater Johann Ulrich übernommen. Bereits seit 15 Jahren wird auf dem Hof von Zehnders Bio grossgeschrieben. Seine Lebenspartnerin Sabrina Ingold kommt dagegen nicht aus der Landwirtschaft. Sie ist in Burgdorf aufgewachsen. Ihr Vater ist Mechaniker, die Mutter Büroangestellte.
Während dem Gymnasium habe sie zwei Wochen Landdienst in Bonaduz (GR) absolviert und dabei habe es ihr den «Ärmel reingenommen», wie die 28 Jahre junge Frau erzählt. Sie entschied sich nach der Matura für eine Ausbildung zur Landwirtin und danach noch zusätzlich für eine kaufmännische Lehre. Zurzeit ist sie am Plantahof in Landquart in Ausbildung zum Meisterlandwirt. Eine Schule, die sie überzeugt hat. «Der Unterricht passt zu unserem Betrieb», ist sich Sabrina Ingold sicher. Dass es sie immer wieder ins Bündnerland zieht, ist nicht von ungefähr. Ihr drittes Bauernlehrjahr hat sie auf einem Betrieb im Unterengadin absolviert. «Das ist der Biokanton schlechthin», weiss die junge Bäuerin. Fasziniert ist sie auch von der Offenheit der Bauern im östlichen Bergkanton den homöopathischen Behandlungsmethoden gegenüber. «Es gibt nicht nur den Weg der Schulmedizin», sagt Sabrina Ingold und hat auch ihren Lebenspartner davon überzeugt. Kennen und lieben gelernt haben sich die beiden während der Lehre auf einem Bio-Gemüsebetrieb im bernischen Seeland.

Muttergebundene Kälberaufzucht
Aus dem Bündnerland hat Sabrina vor sechs Jahren auch das damals fünf Monate alte Kuhkalb Gitarra aus Mutterkuhhaltung mit nach Hause gebracht. «Es ist eine sehr robuste Kuh. Dies weil sie aufgrund der Mutterkuhhaltung länger bei ihrer Mutter bleiben durfte und nicht wie in der Milchwirtschaft üblich, schon im Alter von drei Wochen weggegeben wurde.
So konnte sie ihr Immunsystem genügend ausbauen», erklärt Sabrina Ingold. So ist auch in Neuligen bei der bisher traditionell geführten Milchwirtschaft ein Umdenken geplant. «Wir möchten gerne zur muttergebundenen Kälberaufzucht umstellen. Dies ist eine Mischung aus Milchvieh- und Mutterkuhhaltung», verraten die beiden. Diese Haltung sei optimal für die Tiergesundheit. Ihre Bio-Milch verkaufen sie bereits heute direkt ab Hof oder liefern sie auf Wunsch auch bis vor die Haustüre ihrer Kunden.
Ausgeliefert wird am Dienstag in Eriswil und am Donnerstag in Huttwil. Und wer fragt, bekommt Gemüse und Früchte gleich mitgeliefert.

Infos
www.biozehnder.ch; info(at)biozehnder.ch,
Tel. 062 543 16 36 oder 077 435 60 60.

Von Marion Heiniger