• «Der familiäre Charakter in diesem Klub ist für mich ein Markenzeichen des SC Langenthal, das hinterlässt bei mir Spuren für die Ewigkeit.» · Bilder: Thomas Peter

  • «Als Eishockeyspieler hatte ich das Privileg, dass ich neben dem Beruf auch viel Zeit mit meinen Kindern verbringen durfte.»

  • «Der Gesamtaufwand, den ich betrieben habe, hat mich mental zusehends belastet. Da habe ich erkannt, dass ich einen Schlussstrich ziehen muss.»

28.10.2022
Langenthal

Stefan Tschannen: «Es war eine grandiose Zeit, die ich beim SCL erleben durfte»

Am kommenden Sonntag wird in der Eishalle Schoren vor dem Swiss-League-Spiel zwischen

Langenthal und Basel (17 Uhr) der ehemalige SCL-Stürmer Stefan Tschannen verabschiedet. In einer feierlichen Zeremonie wird seine Rückennummer 71 zurückgezogen und unter dem Hallendach aufgehängt. Der heute 38-jährige Berner war für den Langenthaler Eishockeyverein mehr als ein Spieler, der in 772 Pflichtspielen 375 Tore erzielte und 475 Assists beisteuerte, Tschannen ist ganz einfach der beste Spieler, der je für Langenthal auf dem Eis stand und er hat Legenden-Status. «Es war eine grandiose Zeit, die ich beim SC Langenthal erleben durfte», sagt der abtretende Spieler dazu.

Monatsinterview · Walter Ryser im Gespräch mit Stefan Tschannen, ehemaliger Eishockeyspieler des SC Langenthal

Stefan Tschannen, im Umfeld des SC Langenthal ist man sich einig: Sie sind der beste Spieler, der je für den Langenthaler Eishockeyverein gespielt hat. Was löst diese Aussage bei Ihnen aus?
Es ist für mich einfach schön, so etwas zu hören, weil ich das von mir selber nie behaupten würde. Ich bin mir nämlich bewusst, dass ich nie alleine gespielt habe, ich durfte beim SCL stets in einer guten Mannschaft mitspielen. Ich habe deshalb meinen Mitspielern viel zu verdanken. Ich weiss nicht, ob ich in einer anderen Umgebung genauso erfolgreich gewesen wäre. Aber ich freue mich, wenn die Zuschauer und Fans meine Leistungen und meine langjährige Treue zum Klub schätzen.

Die Zahlen sind eindrücklich: Sie haben als Stürmer für den SC Langenthal 772 Pflichtspiele absolviert und dabei 375 Tore erzielt und 475 Assists realisiert (850 Skorerpunkte). Warum waren Sie über all die Jahre so erfolgreich, was war Ihr Erfolgsrezept?
Ich wollte in dieser Liga immer zu den Besten gehören, dafür habe ich sehr viel investiert. Als ich im Jahr 2005 beim SC Bern keinen neuen Vertrag mehr erhielt und zum SC Langenthal kam, habe ich begonnen, ganz gezielt an mir zu arbeiten. Bis zu jenem Zeitpunkt habe ich mir keine grossen Gedanken über meine Karriere gemacht, vielmehr hatte ich das Gefühl, diese sei ein Selbstläufer. Ich musste dann aber feststellen, dass ich zu jenem Zeitpunkt gar kein richtiger Athlet war. Spielerisch und technisch war ich talentiert, aber läuferisch und physisch hatte ich Schwächen. An der Behebung dieser Mankos habe ich intensiv zu arbeiten begonnen.

Für viele Anhänger des SC Langenthal war es praktisch unvorstellbar, den SCL ohne Stefan Tschannen zu sehen. Doch mit Beginn der neuen Saison war klar, die Nummer 71 steht definitiv nicht mehr auf dem Eis und wird nie wieder zurückkehren. Was hat Sie dazu bewogen, Ende letzter Saison die Schlittschuhe an den Nagel zu hängen?
Erstmals kamen bei mir 2019, nach dem Gewinn des dritten Meistertitels mit dem SC Langenthal, Gedanken an einen Rücktritt auf. Ich wollte damals gleichzeitig mit meinen Sturmpartnern Brent Kelly und Jeff Campbell aufhören. Der SCL durfte ja in den folgenden Jahren nicht in die NLA aufsteigen (weil er nach dem Titelgewinn freiwillig auf die Liga-Quali gegen Ambri verzichtet hat, wurde der SCL von der Liga mit einem dreijährigen Aufstiegs-Bann versehen, Anmerkung der Redaktion).
Meister in der Swiss League war ich bereits dreimal geworden, es gab für mich eigentlich keinen Anreiz mehr zum Weitermachen. Ich habe dann mit vielen Leuten in meinem Umfeld gesprochen und alle haben mir von einem Rücktritt abgeraten und mir gesagt, ich solle doch noch ein paar Jahre weiterspielen und einfach das Eishockey geniessen. Rückblickend kann ich sagen, dass ich den Entscheid zum Weiterspielen nicht bereut habe, ich hatte noch drei wunderbare Jahre beim SCL. Letzte Saison spürte ich plötzlich, dass mir der letzte Biss fehlte, dass ich nach Niederlagen nicht mehr «hässig» wurde und trotzdem gut schlafen konnte, was früher nach Niederlagen auf keinen Fall möglich war. Auch hat mich der Gesamtaufwand, den ich betrieben habe, mental zusehends belastet. Da habe ich erkannt, dass ich einen Schlussstrich ziehen muss, obwohl ich noch einen Vertrag für ein weiteres Jahr als Spieler gehabt hätte.

War es hart, sich einzugestehen, dass die Karriere zu Ende geht, dass ein bedeutender Lebensabschnitt vorbeigehen wird?
Nein, im Gegenteil, ich war froh, als ich mich endlich entschieden hatte. Ich schaute zurück und stellte fest: Es war eine grandiose Zeit, die ich beim SCL erleben durfte, ein unglaublich toller Lebensabschnitt. Als Eishockeyspieler hatte ich das Privileg, dass ich neben dem Beruf auch viel Zeit mit meinen Kindern verbringen durfte, das war und ist für mich eine äusserst wertvolle Erfahrung. Und dann durfte ich natürlich einen Beruf ausüben, der mit unglaublichen Emotionen verbunden ist, wie man sie in keinem «normalen» Beruf erleben kann.

Wie war das beim letzten Spiel, wie haben Sie dieses wahrgenommen, mit welchen Gefühlen haben Sie das Eis verlassen?
Ich habe gewusst, dass dieser Moment einmal kommen wird. Ich war darauf vorbereitet. Deshalb war dieses letzte Spiel für mich absolut o. k. Ich konnte in Thurgau, nach unserem Ausscheiden in den Playoff-Viertelfinals, zufrieden das Eis verlassen. Ich habe in diesem Moment eine grosse Dankbarkeit verspürt, weil ich meinen Rücktritt selber wählen konnte, das hat vieles erleichtert.

Welche Gefühle und Gedanken kamen diesen Herbst auf, als die ehemaligen SCL-Teamkollegen zur neuen Saison in der Swiss League starteten – hätten Sie gerne wieder mitgespielt?
(Lacht herzhaft) Das werde ich oft gefragt, aber nein, es hat mich bis heute nie «gekitzelt» oder gereizt, wieder unten auf dem Eis zu stehen. Vielmehr habe ich die Lust am Eishockey neu entdeckt: Ich liebe es heute, ein Spiel im Stadion mitzuverfolgen und meinen ehemaligen Teamkollegen zuzuschauen. Ich freue mich jeweils richtig, wenn ich mit meinen Junioren trainiere und weiss, dass anschliessend noch ein Spiel des Swiss-League-Teams auf mich wartet. Früher habe ich gar nicht gerne zugeschaut, weil ich viel lieber selber gespielt hätte.

Wenn Sie heute auf der Tribüne sitzen und ein Spiel des SCL anschauen, denken Sie da manchmal: Mein Gott, wenn da der Tschannen auf dem Eis gestanden hätte, würde das ganz anders aussehen?
Nein, um Gottes Willen, solche Gedanken habe ich gar nicht. Als Zuschauer ziehe ich keine Vergleiche mit mir oder früheren SCL-Teams. Ich schaue einfach gerne zu, wie die Spieler in gewissen Situationen reagieren, das fasziniert mich und finde ich sehr spannend, weil ich weiss, wie wichtig und zugleich wie schwierig es ist, in jeder Situation das Richtige zu tun. Aber ich sehe dann auch, dass vieles, was zu meiner Zeit gut funktioniert hat, auch heute noch funktioniert und von einigen Spielern angewendet wird.

Spielen Sie noch selber Eishockey?
Nein, im Moment nicht, aktuell spiele ich nur Tennis. Aber, wer weiss, vielleicht werde ich später einmal bei den SCL-Senioren mitspielen.

Sie haben den Grossteil Ihrer Karriere beim SC Langenthal verbracht. Erklären Sie uns doch, weshalb Sie als Auswärtiger eine solch starke Verbundenheit zu diesem Klub verspürt haben – was dieser SC Langenthal für Sie bedeutet?
Der SC Langenthal hat mich damals, 2005 in einer schwierigen Zeit, nachdem ich beim SC Bern keinen neuen Vertrag erhalten habe, aufgenommen und mir eine neue Chance gegeben, mich zu zeigen und hier zu entwickeln. Aber der Hauptgrund, dass ich so lange beim SCL geblieben bin, war zweifellos das Umfeld, mit dem damaligen Sportchef Reto Kläy, Geschäftsführer Gian Kämpf und Trainer Heinz Ehlers. In diesem Umfeld fühlte ich mich einfach wohl.

Aber das Umfeld ist das eine, die Arbeit wird auf dem Eisfeld erledigt und da spielt es vermutlich eine entscheidende Rolle, wie man sich hier fühlt, damit man weiterhin bei diesem Klub spielt.
Schauen Sie, das ist vielleicht der springende Punkt, als ich zum SCL kam. Damals spielte ich mit dem Kanadier Eric Lecompte zusammen, das war für mich die tollste Erfahrung als Spieler. Mit ihm zusammen und dem zweiten Kanadier Steve Larouche, das hatte nichts mit Arbeit zu tun, das war Rock›n›roll-Eishockey, das «eifach gfägt het». Das hat sich mir eingeprägt, das habe ich hier in Langenthal erlebt. Dazu kam, dass man mir beim SCL immer sehr viel Vertrauen entgegengebracht hat, das war mitentscheidend, dass ich nach meinen Abstechern nach Basel und Biel wieder zum SCL zurückgekehrt bin.

Die Erfolge mit drei Meistertiteln dürften Sie natürlich noch stärker an diesen Klub gebunden haben?
Natürlich, die Meistertitel waren herausragend, aber eine noch viel stärkere Identifikation mit dem SCL löste bei mir die Eishalle Schoren aus. Diese Halle hat einen ganz speziellen, unbeschreiblichen Charakter. Die Zuschauer befinden sich extrem nahe am Eisfeld, was eine Stimmung erzeugt, die heute in den neuen Stadien kaum noch zu finden ist. Man versteht vieles, was die Zuschauer aufs Eisfeld schreien und wenn nur 50 Personen singen, fühlt sich das schon an, als wären weit über tausend Personen im Stadion. Wenn dann wirklich viele Leute im Stadion sind, dann ist die Stimmung schlicht grossartig, das macht mächtig Eindruck. Diese At-mos-phäre ist aussergewöhnlich und ich habe das immer genossen.

Blicken wir zurück: Was bleibt von über zehn Saisons und 772 Spielen für den SCL in Erinnerung?
Unendlich vieles, die sportlichen Erfolge, aber auch viele Menschen, die ich kennenlernen durfte und mit denen ich Beziehungen aufgebaut habe. Es gab viele schöne Begegnungen, ich hatte in all den Jahren stets einen tollen Umgang mit den Leuten rund um den SC Langenthal, das war einfach super und ich habe das sehr geschätzt. Der familiäre Charakter in diesem Klub ist für mich ein Markenzeichen des SC Langenthal, das hinterlässt bei mir Spuren für die Ewigkeit.

Erzählen Sie uns doch noch etwas, das bislang nicht an die Öffentlichkeit drang, aber auch zu Ihren unvergesslichen Erinnerungen während Ihrer Zeit beim SCL zählt?
(Schmunzelt) Da gäbe es in der Tat sehr viele Anekdoten, etliche davon kann man an dieser Stelle nicht erzählen und diejenigen, die ich erzählen könnte, sind dann nicht so lustig. Aber glauben Sie mir, es gibt vieles, das mir in Erinnerung bleiben wird. Wenn ich beispielsweise Spieler treffe, die vor Jahren beim SCL gespielt haben, fällt schnell einmal der Satz: Weisst Du noch, damals, als …

Haben Sie nie gedacht, dass Sie den SCL hätten verlassen müssen, um mehr Geld verdienen zu können und eine noch erfolgreichere Karriere zu absolvieren?
Klar, solche Gedanken kamen auch bei mir auf. Bei zwei Angeboten musste ich eine Nacht darüber schlafen, bevor ich mich entschieden habe. Sportlicher Ruhm und Geld waren mir aber nicht so wichtig. Vielmehr wusste ich immer, was ich hier in Langenthal habe, was ich hier zu leisten vermag und welchen Stellenwert ich in diesem Verein habe. Das hat letztendlich immer überwogen. Heute darf ich sagen, dass ich mich immer richtig entschieden habe. Ich wusste auch, wenn ich hier bleibe, dann besteht für mich die Möglichkeit, dass ich später in einer anderen Funktion weiter im Verein tätig sein kann.

Am Sonntag, vor dem Heimspiel des SC Langenthal gegen Basel (17 Uhr, Eishalle Schoren), werden Sie gebührend verabschiedet und ihre Rückennummer 71 wird zurückgezogen und unter dem Hallendach aufgehängt. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Das ist zweifellos das Grösste, was man als Spieler erleben kann. Damit hast du die Gewissheit, etwas Besonderes für einen Klub, aber auch für das Eishockey geleistet zu haben. Das ist eine Riesenehre für mich.

Was fast zu erwarten war, traf dann Ende Saison auch ein: Stefan Tschannen blieb beim SCL und ist hier als vollamtlicher Nachwuchstrainer tätig. Weshalb wählten Sie diesen Weg?
Ich habe schon immer gerne mit Kindern gearbeitet, beispielsweise als Nachwuchstrainer beim HC Münchenbuchsee, wo mein Sohn spielt. Für mich war immer klar, dass ich einen sozialen Beruf ausüben möchte, Lehrer hätte mich sehr interessiert. Ich fand, dass die Tätigkeit als Nachwuchstrainer viele Komponenten des Lehrerberufs beinhaltet. Kommt dazu, dass ich als Nachwuchstrainer keinen komplett neuen Beruf erlernen muss, vielmehr kann ich das anwenden, was ich bereits mein Leben lang getan habe. Aber natürlich mache ich nun auch noch entsprechende Ausbildungen als Trainer.

Was hat sich seither in Ihrem Alltag geändert, was war neu für Sie, woran mussten Sie sich erst gewöhnen?
Als Eishockeyspieler wurde für mich der Alltag geplant, jetzt muss ich für andere die Planung und Organisation des Trainings- und Spielbetriebs übernehmen. Jetzt bin ich in der Rolle, an alles denken zu müssen, da muss ich «de Gring extrem bir Sach ha», damit ich keinen Fehler mache (lacht).

Welche Ziele verfolgen Sie in Ihrem neuen Amt?
Ganz einfach, ich möchte, dass jedes Kind besser wird, egal, welche Qualitäten es mitbringt. Dazu sollen sie Freude haben an dem, was sie machen. Auch sollen die Kinder lernen, wie ein Team funktioniert und wie man sich gegenüber den Mitspielern verhält.

Werden Sie später einmal Trainer der ersten SCL-Mannschaft?
Im Moment sehe ich mich nicht als Trainer einer Profimannschaft. Ich bin generell der Meinung, Trainer einer Aktivmannschaft zu sein ist der zweitschwierigste Job nach Schiedsrichter.

Und dann gibt es ja auch noch den Stefan Tschannen ausserhalb der Eishalle. Was tut er hier?
Während der Saison ist es mir einfach wichtig, dass das familiäre Leben in geordneten Bahnen verläuft. Ich bin zudem ein Mensch, der sehr gerne Zeit zu Hause verbringt, mit und bei den Kindern.

Sie können nun Ihr Leben auch ein wenig anders planen – gibt es da Dinge, die Sie gerne noch tun oder realisieren würden?
Ja, die gibt es, aber die sind im Moment kaum realisierbar. Gerne würde ich wieder einmal Skiferien machen, die winterliche Atmosphäre in den Bergen geniessen, durch ein verschneites Dorf spazieren und am Abend gemütlich vor dem Kamin sitzen. Das habe ich letztmals als Kind gemacht, darauf freue ich mich.