• «Sterbende brauchen vor allem Zuwendung», betont Pfarrer Durs Locher. · Bild: pexels

18.11.2021
Oberaargau

«Sterben ist kein alltägliches Gesprächsthema»

Der letzte Sonntag vor der Adventszeit ist in der Reformierten Kirche der «Ewigkeitssonntag», an dem den Verstorbenen gedacht wird. Das Sterben und die Begleitung Sterbender wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Institutionen delegiert, obschon die meisten Sterbenden sich wünschen, zu Hause die letzten Atemzüge zu machen. In mittlerweile ganz Europa werden deshalb die Kurse für «Letzte Hilfe» angeboten, welche Grundwissen für die Sterbebegleitung schaffen wollen. Der «Unter-Emmentaler» traf sich mit Durs Locher, Pfarrer in Ursenbach und einem der regionalen Kursleiter für letzte Hilfe.

Oberaargau · «Seelsorge im Pfarramt reicht von der Geburt bis zum Lebensende, weshalb ich immer wieder in Kontakt mit Sterbenden und deren Angehörigen komme», erzählt Durs Locher, «und regelmässig begegne ich Personen, die unsicher sind und viele Fragen haben.» Mit wenigen Tipps und Informationen könne die Situation um das Lebensende bereits vereinfacht werden. Das Wissen sei allerdings nicht mehr selbstverständlich vorhanden, weil Sterben und Trauern zu gesellschaftlichen Tabuthemen geworden seien. «Rein statistisch gesehen werden sich besonders die jüngeren Menschen in Zukunft mehr mit dem Thema Tod und Abschied auseinandersetzen müssen», weiss Locher, denn «mit einer zunehmend älteren Gesellschaft wird die Sterblichkeit zunehmen.»

In vier Themenbereiche aufgeteilt
Die Letzte-Hilfe-Kurse sind in vier grosse Themenbereiche aufgeteilt. Im ersten Teil thematisiert die Leitung, welche jeweils aus einer Pflegefachperson und einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger besteht, das Thema «Sterben ist ein Teil des Lebens». «Sterbende brauchen vor allem Zuwendung», weiss Locher, «und diese wird mehrheitlich von der Zivilgesellschaft geleistet. Lediglich fünf Prozent der Zuwendung zu Sterbenden werden von Professionellen wie der Spitex, Ärzten oder Seelsorgern geleistet.» Der zweite Kursteil steht jeweils unter dem Titel «Vorsorgen und Entscheiden»: Dabei werden formellere Themen wie Testament und letzte Verfügungen angeschnitten, über die Patientenverfügung informiert und das Thema Organspende erwähnt.

Emotionale Themen diskutieren
Die Pflegefachperson leitet jeweils den Kursteil «Leiden lindern» an. Leiden könnten nicht nur mit Medikamenten gelindert werden, sondern auch durch angepasste Lagerung und Bewegung sowie einer angepassten Ernährung. «Oftmals wollen Sterbende nicht mehr essen, weil die Lust daran fehlt. Wir wollen bei den Angehörigen Verständnis für solche Situationen schaffen, die nicht leicht zu akzeptieren sind. Manche Teilnehmende bringen Erfahrungen mit, die wir im geschützten Rahmen des Kurses austauschen», erklärt der Seelsorger Locher. Im letzten Kursteil «Abschied nehmen» steht das Trauern im Zentrum. Nach dem Tod einer nahestehenden geliebten Person durchlaufe man unterschiedliche Emotionen, von Wut über Verleugnen bis hin zur rationalen Akzeptanz des Todes. «Die daraus folgenden Verhaltensweisen sind nicht alle gesellschaftlich akzeptiert und sowohl die sterbende Person wie auch ihre Angehörigen machen sie in unterschiedlicher Stärke durch», bilanziert Pfarrer Locher.
«Die Kirche hat das Abschiednehmen ritualisiert.» Doch die Arbeit beginne bereits vor der Abdankung in der Kirche, etwa beim Zusammentragen der Kontakte, die über den Tod informiert werden sollen. In diesem Zusammenhang stelle sich auch die Frage, ob eine öffentliche Abdankung stattfinden soll. «Als Pfarrer mache ich Werbung für diese Form des Abschiednehmens, denn nicht nur die nächsten Angehörigen möchten sich vom Verstorbenen verabschieden», betont Locher.
«Ganz offensichtlich ist das Bedürfnis nach Schulung in letzter Hilfe da», bestätigt Locher, «die angebotenen Kurse in der Region waren immer ausgebucht, teilweise gab es Wartelisten.»

Kurs für alle
Im Kanton Bern werden Letzte-Hilfe-Kurse von den Landeskirchen, dem Kantonalverband Spitex und dem Palliativzentrum des Inselspitals getragen. Kursleitungsteams führen die Kurse meist im Auftrag von Kirchgemeinden durch, welche die Infrastruktur zur Verfügung stellen und bewerben. «Doch die Kurse sind konfessionell offen und nicht an eine bestimmte Weltanschauung gebunden. Wir laden alle ein, unabhängig von Alter und Religion, und wollen miteinander ins Gespräch kommen.»

Gut zu wissen
Auf der Website www.kirchenpalliativebern.ch sind die Letzte-Hilfe-Kurse ausgeschrieben. Die Kurse sind offen auch für Teilnehmende aus anderen Gemeinden.

Von Patrik Baumann