• Peter Hirschi.

  • In der Lanz-Anliker AG, Rohrbach, läuft die Produktion mit wiederverwendbaren Stoffmasken auf Hochtouren. · Bilder: zvg

02.04.2020
Oberaargau

Stoffmasken helfen aus dem Engpass heraus

Auf den Hype, Einwegmasken herzustellen, wollte die Rohrbacher Firma Lanz-Anliker AG nicht aufspringen. Aber dann kam der dringende Appell eines befreundeten Arztes an den Geschäftsführer Peter Hirschi: «Du musst etwas tun. Ich erhalte nirgends mehr eine einzige Maske.» Vier Tage nach jenem Telefonanruf startete in der Lanz-Anliker AG die Produktion von mehrfach verwendbaren Stoffmasken. Tausende wurden seither schon produziert.

Rohrbach · Zahlreiche Anfragen nach Einwegmasken lehnte Peter Hirschi, Geschäftsführer des Textil-Unternehmens Lanz-Anliker AG in Rohrbach, ab. Produktionskosten und ein vernünftiger Verkaufspreis wären in keinem Verhältnis gestanden.
Dann aber kam der dringliche Ruf des Langenthaler Neurologen und Freundes von Peter Hirschi, Dr. med. Andreas Baumann: «Du musst etwas tun! Wir brauchen dringendst wiederverwendbare, sterilisierbare Atemschutzmasken.» Der Arzt hatte zu diesem Zeitpunkt keine einzige zusätzliche Maske mehr erhalten. Im Neurozentrum der SRO AG werden zahlreiche Patienten mit Immun-Therapien behandelt – eine Tatsache, welche das Manko an Masken umso gravierender machte. «Wir konnten Mitarbeitende und Pa-tienten nicht mehr in dem Rahmen schützen, wie wir es gewollt hätten», so Andreas Baumann. Gleichzeitig liefen in den Fernsehkanälen Dokumentarsendungen, die nachdenklich stimmten: Spitex-Mitarbeitende, Hebammen und weitere mussten selbst nach Lösungen suchen oder ihre Klienten ohne Schutzmaske aufsuchen.
Jener Telefonanruf von Andreas Baumann fand am Donnerstag, 19. März, statt. Infrastruktur, Messgeräte (unter anderem auch für die richtige Luftdurchlässigkeit) und Erfahrung für Hygiene und hochsensible Produkte sind in der Lanz-Anliker AG, die unter anderem auf Medizinal-Produkte spezialisiert ist, vorhanden. In Rekordzeit, keine 24 Stunden später, hielt der Arzt den Prototypen aus der Lanz-Anliker AG in den Händen: Eine Baumwoll-Maske mit einlegbaren, wasch- und sterilisierbaren und überdies angenehm zu tragenden Membranen. Die Maske ist am unteren und oberen Rand biegbar, kann so Nase und Kinn angepasst werden. Maske und Membranen können im Koch-Waschgang gewaschen und damit auch sterilisiert werden. Zu jeder Maske gehören 40 Membranen. Die Reaktion von Andreas Baumann auf den Prototypen war begeistert: «Das ist der Hit! Los, los, fang an!». Über das Wochenende wurden die Maschinen in der Lanz-Anliker AG umgerüstet; am Montag, 23. März, begann die Herstellung des Produkts, das vielerorts grosse Erleichterung bringen sollte.
«Mit einer solchen Baumwollmaske und den 40 Membranen kann eine Person sich selbst und andere mindestens einen Monat lang schützen. Unsere Waschtests haben ergeben, dass die Membranen durch das Waschen eher noch wirksamer werden, da sich die Baumwolle leicht zusammenzieht», so Peter Hirschi. Anfangs wurden täglich 1600 komplette Masken produziert, inzwischen sind es täglich rund 2000; unter gewissen Voraussetzungen könnte die Produktion bis 3000 Stück angehoben werden.
Für die Zertifizierung werden die Masken zurzeit im Labor noch getestet. Ein erster Vertrieb aber wurde Peter Hirschi vom Bundeslabor in Spiez bereits erlaubt.
Dies unter der Bedingung, dass das Produkt nicht mit einem Schutzwert angepriesen wird. Peter Hirschi verwendet für seine Maske einen Durchlässigkeitswert, der demjenigen einer herkömmlichen Hygienemaske entspricht. Aufgrund der Erfahrungen der Firma im Medizinalbereich und in der Filtration darf Peter Hirschi ein ver-heissungsvolles Resultat erwarten.
«Eines ist ganz sicher: Diese Masken sind besser als gar kein Schutz. Wir sind der Lanz-Anliker AG ausserordentlich dankbar und hoffen, dass sie diese bald in grossen Mengen produzieren und damit noch vielen Menschen helfen kann», so Andreas Baumann auf «Youtube».

Helfen wo Not ist
Mit dem Stückpreis von 18 Franken – einschliesslich der 40 Membranen – kann Peter Hirschi knapp die Produktionskosten decken. Mehr will er nicht: «Kein Verlust ist ein Gewinn», stellt er in der gegenwärtigen Situation fest. Verdienen daran hätte er in der jetzigen schwierigen Situation rund um den Globus nicht gewollt: «Es geht mir darum, helfen zu können.» Wie fest er schon geholfen hat, zeigen unzählige und teils rührende Schreiben der Dankbarkeit. Zahlreiche Menschen in Pflege- und Gesundheitsinstitutionen konnten und können hinter den neuen Masken aufatmen und im Rahmen der geforderten Hygienemassnahmen das Wohl ihrer Klienten und Patienten besser als zuvor sicherstellen. Dank der mehrfachen Verwendung sind sie auch nicht mehr abhängig von anderen Liefer-Quellen und schon gar nicht von ausländischen Lieferketten.
Peter Hirschi seinerseits kann mit der Masken-Produktion Mitarbeitende seiner Firma beschäftigen, die zuvor in der Sattlerei tätig waren, «denn während Medizinaltechnik und Filtration weiterhin gut laufen, ist dieser Betriebszweig nach mehreren durch die Krise bedingten Lieferstopps stark eingebrochen», sagt er im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Die Lohnkosten dieser Mitarbeitenden könnten auf diese Weise knapp erwirtschaftet werden.
Viel Zeit, sich darüber zu freuen, haben er und seine Leute nicht: «Äs verjagt is fasch», meint er. Das Produkt habe eingeschlagen «wie eine Bombe». Die Masken-Produktion setze die Mitarbeitenden auf allen Ebenen unter enormen Druck.
«Aber wir wissen, dass wir etwas Gutes tun und helfen können.» Das beflügle alle, insbesondere auch ihn selbst, denn «helfen, wo Not ist, liegt mir stets ganz stark am Herzen.»

Von Liselotte Jost-Zürcher