• Grosses Interesse an den Ausführungen von Professor Dr. Tobias Straumann beim Managementforum der Clientis Bank Oberaargau. · Bild: Marcel Bieri

07.02.2020
Langenthal

Tiefzinsphase kann noch lange andauern

Keine «Entwarnung» gab Professor Dr. Tobias Straumann beim diesjährigen Managementforum der Clientis Bank Oberaargau zum Thema Tiefzinsen. «Diese Phase könnte noch sehr, sehr lange andauern», sagte er auf eine entsprechende Frage von Stefan Wälchli, CEO der Regionalbank.

Einmal mehr lockte das Managementforum der Clientis Bank Oberaargau sehr viele Kunden und Gäste an. Rund 180 Personen fanden sich im Jurapark in Langenthal ein und wollten sich von einem profunden Kenner der Finanzbranche darüber informieren lassen, wie lange der Ausnahmezustand mit den tiefen Zinsen noch anhält. Bevor sich jedoch Professor Dr. Tobias Straumann mit dieser Frage beschäftigte, konnte Stefan Wälchli, CEO der Clientis Bank, den Anwesenden mitteilen, dass der Ausnahmezustand mit den tiefen Zinsen kein Notstand sein muss, zumindest nicht für die Regionalbank, die im vergangenen Jahr erneut ein überaus erfreuliches Geschäftsergebnis erwirtschaftete.
So sind die Kundenausleihungen um vier Prozent, die Kundengelder um 4,5 Prozent gestiegen und das Eigenkapital sogar um knapp 25 Prozent. Diese erfreuliche Entwicklung hat natürlich auch positive Auswirkungen auf das Jahresergebnis, das mit 2,8 Millionen Franken einen um 0,2 Prozent höheren Gewinn ausweist.

Digitalisierung schreitet voran
Die Digitalisierung schreite weiter voran und werde auch immer mehr Bestandteil der Bankenwelt, erwähnte Stefan Wälchli, was er anhand eines Fragespiels demonstrierte, an dem die anwesenden Besucher auf spielerische Art via Natel teilnehmen und das Ergebnis gleich live auf der Grossleinwand mitverfolgen konnten. Danach war aber vorerst Schluss mit lustig, als Wälchli Gast-Referent Professor Dr. Tobias Straumann die Frage stellte: «Schuldenberg und tiefe Zinsen – wie lange dauert der Ausnahmezustand noch an?» Straumann ist seit 2009 Lehrbeauftragter an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und seit Frühjahr 2014 Titularprofessor an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Er studierte Geschichte, Soziologie und Wirtschafts- sowie Sozialgeschichte in Zürich, Paris und Bielefeld. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem der europäischen Geld- und Finanzgeschichte und der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte.

Krise noch lange nicht vorbei
Straumann dämpfte die Erwartung von Stefan Wälchli: «Die grosse Finanz- und Wirtschaftskrise liegt schon einige Jahre zurück, dennoch leben wir nach wie vor in einem Ausnahmezustand. Die alte Ordnung gilt nicht mehr, und was an ihre Stelle treten könnte, ist noch nicht absehbar. Selten war so unklar, wohin die Reise gehen wird», gab er zu verstehen. In einem solchen Umfeld an Unsicherheit sei es empfehlenswert, auf den reichen Schatz an vergangenen Erfahrungen zurückzugreifen, betonte der Referent. Dabei wies er darauf hin, dass bereits in früheren Zeiten grosse Umbrüche stattfanden. «Negative Realzinsen sind nichts Neues, auch der Aufstieg von neuen Wirtschaftsmärkten hat sich schon oft wiederholt, und Warnungen vor den Grenzen des Wachstums gehören seit Jahren zum öffentlichen Diskurs», erwähnte Straumann weiter.
Ein Blick in die Vergangenheit helfe, die grossen Trends zu erkennen und das Unwichtige vom Wesentlichen zu trennen. Straumann ist jedoch der Meinung, dass die Krise in Europa noch lange nicht vorbei ist. Aber auch in China spitze sich aufgrund massiv hoher Privatschulden die Lage zu, und Japan sei durch die Finanzkrise ebenfalls erheblich geschwächt worden.

«Viel besser als die Schweiz kann man es nicht machen»
Eine krisenfreie Phase mit langem Wachstum habe es zuletzt in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg gegeben, blickte Tobis Straumann zurück. Damals seien die Finanzmärkte unter starker Kontrolle gestanden. «Gleichzeitig erlebte die Welt zwischen 1950 und 1973 ein vergleichsweise sehr hohes Wirtschaftswachstum.» Das habe vorab damit zu tun gehabt, dass die Globalisierung nach dem Krieg kaum mehr existierte. Mit der Liberalisierung des Handels habe ein grosser Effekt erzielt werden können. Gleichzeitig hätten etliche technologische Neuerungen stattgefunden, die Europa von den USA übernehmen konnte. «In beiden Bereichen, Globalisierung und Technologie, ist grosses Wachstum heute aber nicht mehr möglich», erläuterte Straumann, der jedoch der Meinung ist, dass dagegen mehr Kontrolle beim Kapitalverkehr, insbesondere in den Schwellenländern sinnvoll wäre.
Wie lange die Negativzinsen anhalten werden, wagte der Referent nicht zu prophezeien, «aber diese Phase könnte noch sehr, sehr lange andauern», mutmasste er. «Italien kommt nicht aus der Depression, Griechenland und Portugal ebenfalls nicht. Spanien sieht besser aus, aber nur auf den ersten Blick, und in Frankreich ist ungewiss, ob das Land mit höheren Zinsen umgehen könnte», blickte er auf die Finanzmarktlage in Europa.
Was dies für die Schweiz bedeute, konnte Straumann dagegen beantworten: «Viel besser als die Schweiz kann man es nicht machen. Wir haben ein gutes Schulsystem und ausgeglichene Einkommen», gab er zu verstehen. Er wies darauf hin, dass die letzte Tiefzinsphase 35 Jahre gedauert habe. «Es war eine Zeit mit hoher Produktivität und daher sicher keine schlechte Zeit. Die jetzige Tiefzinsphase ist zweifellos abnormal, aber deswegen noch lange kein Grund zum Verzweifeln», schloss er sein Referat mit aufmunternden Worten.

Von Walter Ryser