• Christoph Neuhaus an der Hauptstrasse von Aarwangen. Wann die Verkehrssanierung umgesetzt wird, ist noch unklar. · Bild: Leroy Ryser

23.03.2023
Oberaargau

Trotz Abstimmungssieg ist Geduld gefragt

Das Volk im Kanton Bern hat sich dafür entschieden, die Verkehrssanierungen in Aarwangen und im Emmental anzunehmen. Christoph Neuhaus hat als Vorsteher der Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons viel Zeit für ein Ja investiert. Im Monatsinterview mit dem «Unter-Emmentaler» begründet er dies, erzählt Anekdoten aus dem Abstimmungskampf und verrät, wie es nun weitergehen könnte. Für den 56-Jährigen ist bereits jetzt klar: Früher oder später wird gebaut.

Monatsinterview · Leroy Ryser im Gespräch mit ChristophNeuhaus, Regierungsrat Kanton Bern

Christoph Neuhaus, Sie haben sich stark eingesetzt, damit die Verkehrssanierungen angenommen werden. Wie gross war die Nervosität am Morgen des Abstimmungssonntages vom 12. März?
Christoph Neuhaus:
Um ehrlich zu sein: Nicht wirklich gross. In solchen Momenten kann man nichts mehr beeinflussen und nur noch auf das Resultat warten. Da bin ich jeweils nicht mehr sonderlich nervös.

Wo lagen Ihrerseits die Gründe, dass Sie sich dafür eingesetzt haben?
Ich kann mich noch erinnern, mit meinem Vater in den 1970er-Jahren durch das Emmental gefahren zu sein, als er erwähnte, dass hier bald eine doppelspurige Strasse gebaut werden soll. Wir diskutieren schon sehr lange um diese beiden Verkehrsknotenpunkte und entsprechend ist für mich persönlich die Situation nicht mehr haltbar. Ab 20 000 Fahrzeugen pro Tag kollabiert ein einfacher Kreisel. Im Emmental sind wir schon darüber, in Aarwangen noch knapp darunter. Und wenn man über dieses Gebiet fliegt – das zeigt lustigerweise auch das Video der Gegner – dann hat man zwischen Burg-dorf und Hasle eigentlich nur einmal Stau, also über die ganze Strecke. Dazu kommt gerade auch in Aarwangen die Verkehrssicherheit, letztlich tangiert diese Strasse den Schulweg und als Vater verstehe ich hier die Bedenken betroffener Personen absolut. Die Grenzen sind erreicht, also muss hier etwas passieren.

Entsprechend gehe ich davon aus, dass die Erleichterung bei der Resultatbekanntgabe gross war?
Ich war froh. Zwischenzeitlich war ich mir nicht mehr vollständig sicher, ob wir gewinnen werden – dafür sind wir aber angetreten. Vor 15 Jahren begann die Planung dieses Vorhabens, welches ein Problem lösen soll, das schon vor der Jahrtausendwende bestand. Daher war ich erfreut über die Resultate.

Ein Blick auf die beiden Resultate zeigt einen deutlichen Unterschied. Das Aarwangener Projekt wurde mit 51,7 Prozent angenommen, jenes im Emmental mit 56,9 Prozent. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?
Das Emmental stand tatsächlich wie eine Bank hinter dieser Vorlage. In der Region Oberaargau haben derweil wenig Exponenten für sehr viel Lärm gesorgt. Man kann also sagen, der Abstimmungskampf hat zu diesem Unterschied geführt – die Stimmung wurde sehr clever ausgenutzt.

Kann man sagen, dass das Problem am einen Ort grösser ist als am anderen, oder war einfach das Projekt im Emmental besser akzeptiert, weil es mehrere Dörfer betrifft?
Ich glaube nicht, dass das in erster Linie mit der Anzahl der betroffenen Dörfer zu tun hatte. Es war aber doch auch auffällig, dass im Emmental alle am gleichen Strick gezogen haben. In der Region Oberaargau haben vor allem auch Umweltschützerverbände alles gemacht, um sich dagegen zu wehren und das ist auch legitim. Wenn man dann aber mit Diesel-Traktoren nach Bern fährt, um ein paar Rüben zu pflanzen, dann wirft das für mich schon auch ein paar Fragen auf ...

Ausserdem können Sie uns von einer Anekdote aus dem Abstimmungskampf erzählen ...
Ja, das stimmt. Die Organisation Smaragdgebiet Oberaargau erhält einiges an Geld vom Kanton Bern und hat mit dem Video des WWF geworben. Ich habe sie angerufen und darauf hingewiesen, dass sie auch das Video der Befürworter aufschalten müssten, wenn sich die Organisation auf der Website schon als neutral bezeichnet. Das wurde dann ohne zu zögern auch gemacht – obwohl sie sich explizit gegen das Projekt aussprachen.

Würden Sie rückblickend etwas ändern, vielleicht im Abstimmungskampf?
Ich denke, dass ich im Nachhinein den einen oder anderen zusätzlichen Auftritt eingeplant hätte, um Fragen zu klären und um auf die Gegner einzugehen. Ihre Bedürfnisse abholen. Das werden wir aber auch in den nächsten Schritten noch tun.

Wie haben Sie den Abstimmungskampf generell wahrgenommen?
Ich war etwas enttäuscht, dass es Gegner gab, die Sachen erzählt haben, die nicht korrekt waren. Ausserdem wurde extrem viel Lärm verursacht.

Das haben Sie schon zum zweiten Mal erwähnt. Ist das mittlerweile nicht schon üblich, dass man als Gegner viel Lärm macht?
Natürlich gehört das auch ein wenig zur Demokratie. Schade ist es aber dennoch, wenn man versucht, mit Emotionalitäten Fakten zu verdrängen. Aber ja, Lärm gehört auch ein wenig dazu und ist legitim.

Der Projektierungskredit in Aarwangen musste auch schon an die Urne und war damals breiter abgestützt (60,1 % Ja-Stimmen). Was hat sich geändert?
Bei der zweiten Abstimmung galt es ernst. Bei der ersten konnte man noch sagen: Ja, wir schauen mal, was geht und wie das aussehen könnte. Das hier war ein definitives Ja.

Allgemein scheint es, dass der Verkehr schweizweit zunimmt, die Bereitschaft für Ausbauten aber abnimmt. Wie wird man damit bei künftigen Verkehrsprojekten umgehen?
Gegenwind hilft tatsächlich nur beim Steigflug eines Flugzeuges und ist deshalb nicht nur einfach. Wir werden versuchen müssen, andere Massnahmen zu ergreifen, um den Verkehr zu managen. Vielleicht auch digitale Lösungen ergreifen, computertechnische Lösungen verstärkt einbinden, Velowege fördern. Aber letztlich ist und bleibt es so, dass, wenn man das Wachstum des Verkehrs nicht bremsen kann, man handeln muss.

Das kommt aber auch wieder auf Sie als Vorsteher der bernischen Bau- und Verkehrsdirektion zurück. Stört Sie das nicht, dass mehr Verkehr gewünscht ist, die Opposition dagegen aber stark ist?
Alles ist gut, solange es nicht in meinem Vorgarten passiert – diese Haltung ist wahrlich bekannt und schwierig, damit umzugehen. Ich kann diesbezüglich aber locker bleiben. Wenn wir länger warten, wird sich die Ausgangslage nicht bessern. Entsprechend steigt der Druck oder das Bedürfnis nach Lösungen. Prioritäten ändern sich in einer Gesellschaft ständig – und das führt wieder zu neuen Dynamiken. Also braucht es nur ein wenig Geduld.

In der Schweiz bieten sich bei einer Abstimmungsniederlage weitere Möglichkeiten, Einsprachen zu erheben. Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit?
Aktuell sind 17 Einsprachen im Oberaargau hängig und deren 9 im Emmental. Für mich ist klar: Wer sich der Demokratie verpflichtet fühlt, der wird nun sagen müssen: «Jetzt ist genug.» Aber tatsächlich gab es schon öffentliche Aussagen, dass man das bis ans Bundesgericht weiterziehen würde, wenn nötig – also werden wir damit umgehen müssen. Es wird Geduld brauchen, aber wie gesagt: Der Druck wird zunehmen. Ich bin überzeugt, dass die Projekte früher oder später umgesetzt werden. Ich persönlich sage ja immer, dass wir im Kanton Bern mittlerweile dreisprachig sind. Französisch, Berndeutsch und Einsprachen. Und auch das gehört dazu.

Daraus lässt sich für die Zukunft des Projekts nicht viel Gutes erahnen?
In der Theorie ist es so, dass wir im Jahr 2025 mit dem Bauen beginnen können. Danach dauert es fünf Jahre in Aarwangen und zehn Jahre im Emmental, um die Projekte umzusetzen. In dieser Zeit wird das Projekt in Etappen unterteilt und umgesetzt. Aber der Strassenplan ist aktuell noch aufgrund einer Einsprache bei der Direktion für Justiz. Zudem gehen wir wegen dem Weiterziehen der Einsprachen an die nächsten Instanzen davon aus, dass es noch länger dauern dürfte, bis der Baustart erfolgt.

Diesbezüglich ist eines interessant: In der Schweiz wird viel gebaut und erweitert. Oft sind die Veränderungen aber bis zur Inbetriebnahme schon fast wieder überholt. Droht diese Gefahr in Aarwangen und rund um Burgdorf ebenfalls?
Auch hier gilt: Der Leidensdruck wird grösser. Darum werden wir auch mit den Gegnern zusammensitzen und versuchen, sie einzubinden und Lösungen zu finden, die so verträglich sind wie möglich, um möglichst bald starten zu können. Die Bedürfnisse bleiben aber weiterhin bestehen und werden sich nicht grundlegend ändern. Gleiches gilt auch für die Ausgangslage im Verkehr. Prognosen des Bundes deuten darauf hin, dass die Verkehrsmenge bald ihre Spitze erreicht, also darf man davon ausgehen, dass diese Lösungen passend bleiben.

Seit 2018 amten Sie in der Bau- und Verkehrsdirektion als Vorsteher. Für Ihre Karriere war das ein wichtiger Meilenstein, oder?
Ich war tatsächlich erfreut über diesen Erfolg. Es gibt ja Stimmen, die sagen, dass man erst ein richtiger Regierungsrat ist, wenn man einmal eine Abstimmung gewinnt.

Wie geht Ihre Karriere nach diesem Erfolg weiter?
Ich wäre auch im Regierungsrat geblieben, wenn es ein Nein gegeben hätte – also bleibe ich auch bei einem doppelten Ja. Tatsächlich habe ich noch diverse Projekte und Meilensteine, auf die ich mich nun konzentrieren und fokussieren kann. Ich werde zudem auch weiterhin versuchen, mich so unaufgeregt wie möglich meiner Arbeit zu widmen.

Ist es vielleicht auch eine Erleichterung, nachdem Sie in der Blausee-Affäre von den Medien oft harsch kritisiert wurden?
Nun, als Regierungsrat wird man eben zwischendurch «geliebt» – auch im Emmental werden gewisse Menschen mich nach der Abstimmung verachten. Das gehört dazu. Natürlich ist es aber schön, nun einen Erfolg gefeiert zu haben, das tut gut. Auch beim Blausee bin ich aber überzeugt, dass sich das sehr bald klären wird.

Apropos Medien: Sie arbeiteten einst als Journalist. Verstehen Sie deshalb die mediale Kritik an Ihrer Person besser?
Ich würde es so formulieren: Ich kann es besser erklären, wieso etwas geschrieben wird, verstehen tue ich es aber trotzdem nicht immer. Ich stelle zudem fest, dass in Medienhäusern die Ressourcen reduziert wurden und es schwieriger wurde, die Sichten darstellen zu können. Aber letztlich gibt es auch sehr gute Medien. Und die sind das Salz in der Suppe des Lebens.

Sie sind aber nicht nur ehemaliger Journalist und aktueller Regierungsrat, sondern auch «Hobby-Landwirt», der zu Hause einen kleinen Betrieb mit Pferden, Schafen, Hunden, einem Pfau und anderen Tieren unterhält. Ein besonderes Hobby.
Das ermöglicht mir einen gelungenen Ausgleich zu meinem Berufsalltag. Ich kann mich zurückziehen und Kraft tanken. Für die Natur bin ich dankbar, der Blick zu den Bergen, dem Niesen, Eiger, Mönch und Jungfrau, machen mich demütig. Und letztlich ist es so, dass mir Tiere beispielsweise grosse Freude bereiten. Sie geben viel und wollen im Gegenzug keine politischen Diskussionen mit mir führen (lacht).

Da bleibt wenig freie Zeit übrig. Gibt es denn für Christoph Neuhaus auch ab und zu Ferien, fernab von Rathaus und Landwirtschaftsbetrieb?
Es gibt schon auch zwischendurch die eine oder andere Woche. Aber wenn ich zu Hause ein bisschen Mist umherfahren kann, dann ist das für mich schon fast wie Ferien. Ich geniesse das.