• «Wer hats erfunden?»: Die Fussgängerquerung der Huttwiler Ortsdurchfahrt fand rasend schnell Eingang in die Wahlkampfstrategie. · Cartoon: «UE»-li/Gian Widli

15.10.2020
Huttwil

Und plötzlich ist schwarz-gelb Trumpf

Seit der Gemeindeversammlung vom 16. September ist der Wahlkampf in Huttwil so richtig lanciert. Ungewollter Anschieber: Erich Stamm. Mit seinem gut gehörten Ruf nach Zebrastreifen für die Ortsdurchfahrt sorgte er sich um die Sicherheit von Schulkindern und Fussgängern und fand viel Zuspruch. Nicht nur an der Gemeindeversammlung. Huttwiler Parteien machten den Fussgängerstreifen kurzerhand zu ihrem Wahlkampfthema Nummer eins. Am Sonntag zeigt sich, welche Strategie die Gunst der Wählenden am meisten überzeugt hat.

Harmonie herrscht. So traten die Hutt­wiler Parteien noch zum gemeinsamen von der FDP initiierten Wahlpodium Anfang September an. Das fast schon «demonstrativ vereint» gekochte Wahlkampfsüppchen schmeckte eher eintönig fade. Doch hat es zum Schluss viel Pfeffer erhalten. Unverhoffter Chefkochstratege: Der «Grüne» Erich Stamm, einstiger Gemeinderat der inzwischen aufgelösten Freien Wähler Huttwil. Was ihn freuen dürfte: Sein Ziel ist vorerst erreicht. Auf den Schulbeginn hin wurde ein provisorischer Fussgängerstreifen mit Ampel installiert. Dass sein Anliegen wahlkampftechnisch ausgeschlachtet wird, deutlich weniger, wie er in seinem Leserbrief («UE» vom 9. Oktober) unmissverständlich kritisierte.

«Wer hät’s erfunde?»
Und tatsächlich: In der «UE»-Wahlserie, bei der sich die Huttwiler Parteien selber präsentieren konnten, waren oft unkonkrete Allgemeinaussagen wie «wir wollen die Attraktivität von Huttwil steigern und das einheimische Gewerbe unterstützen», oder «wir wollen das gesellschaftliche und kulturelle Zusammenleben fördern». Wie das geschehen soll, das musste man zwischen den Zeilen erahnen.
Kaum ein Thema waren hingegen die hinlänglich bekannten Schwierigkeiten, mit denen Fussgänger auf der Ortsdurchfahrt schon lange zu kämpfen haben. Zumindest war dies kaum ein Thema vor der Gemeindeversammlung vom 16. September. Mit zwei Ausnahmen: Die SVP und die SP. Die SVP nannte als eines ihrer sieben Legislaturziele: «Mehr Sicherheit für Velofahrer und  Fussgänger» («UE» vom 11. September). Konkreter wurde die SP: «Das Queren der Strasse, insbesondere für Kinder und Betagte, ist schwieriger geworden. Wir setzen uns für eine sichere Strassenquerung mit Fussgängerstreifen und Trottoirs ein» («UE» vom 15. September).
Nach der Gemeindeversammlung ging dann aber die Post ab. Bei der «UE»-Kandidierendenumfrage «Auf den Zahn gefühlt», die bis am 22. September beantwortet werden musste, wurde der Fussgängerstreifen zum grossen Thema. Die SP lancierte zudem eine Online-Petition und die EDU und SVP demonstrierten einen hochtourigen vereinten Einsatz, so schnell als möglich eine Lösung präsentieren zu können. Dies alles sozusagen nach dem Motto: «Wer hät’s erfunde?» Was letztlich aber zählt ist das Resultat. Beim ehemaligen «Rössli» gibt es seit  knapp einer Woche einen provisorischen Zebrastreifen mit Ampel.

FDP: Gemeinderat als Einheit
Doch den Wahlkampf alleine auf den Zebrastreifen zu begrenzen, wird den Wahlen und ihren Kandidierenden  nicht gerecht. Das Spektrum reicht zum Glück viel weiter.
Huttwiler Wahlen sind nicht Parteien- sondern Personenwahlen: Dies betonte denn auch die FDP in ihrem Parteiporträt. Die FDP hielt sich souverän aus irgendwelchem Wahlkampfgeplänkel raus. Nach dem vorzeitigen Rücktritt von Hans Mathys im Sommer und dem interimistischen Gastspiel vom 2016 abgewählten Kurt Graf tritt die FDP jetzt mit zwei neuen Kandidaten, Martin Sägesser und André Schärer, an. Die FDP verzichtet bewusst auf eine Listenverbindung, die sie 2016 noch mit der SVP und EDU eingegangen war. Damals verlor sie mit einem Wähleranteil von 17,17 % einen Sitz an die EDU (10,05 %).
Die FDP stört sich daran, dass im aktuellen Gemeinderat Einzelinteressen vor der Sachpolitik stehen würden. Der Gemeinderat müsse wieder als Einheit wahrgenommen werden, der gemeinsam gefällte Entscheide nach Aussen vertritt, auch wenn man anderer Meinung war. Zudem bemängelt die FDP, dass die Bevölkerung zu wenig ernst genommen werde, wie dies zum Beispiel beim Versuchsbetrieb auf dem Brunnenplatz der Fall war. Entscheide des Gemeinderates würden nach dem grösstmöglichen Spar­potenzial gefällt. Eine weitsichtigere Gestaltung Huttwils fehle aber.

Überraschende «Vereinte Mitte»
Die «Vereinte Mitte» aus BDP (Wähleranteil 2016: 15,52 %), CVP und glp (beide 2016 nicht angetreten) sorgte für Überraschungen. Nicht nur wegen der gemeinsamen Liste, sondern auch, weil sie es als einzige Gruppierung geschafft hatte, mit Heidi Bärtschi (BDP) eine Frau aufzustellen. Mit dem bisherigen Gemeindepräsidenten Walter Rohrbach (BDP) und Philippe Groux (glp) tritt die «Vereinte Mitte» zudem mit zwei weit herum bekannten Kandidaten an. Für Persönlichkeitswahlen wie in Huttwil natürlich nicht unbedeutend.
Auch die «Vereinte Mitte» ist der Ansicht, dass die besten Lösung nur dann entstehen können, wenn der Gemeinderat als Team funktioniert und nicht Einzelinteressen verfolgt werden. Die Bevölkerung soll angehört und in den demokratischen Prozess eingebunden werden. Zudem soll der im kantonalen Durchschnitt liegende Steuerfuss erhalten bleiben, um die finanzielle Stabilität von Huttwil zu wahren.

SP will wieder zwei Sitze
Die SP (2016: 23,09 %) hat bei den letzten Gemeindewahlen nach dem Abtreten von Adrian Wüthrich nur den Sitz von Sandra Lambroia Groux verteidigen können. René Jaussi erreichte zwar das sechstbeste Wahlresultat, hatte aber wegen der Listenverbindung der EDU, FDP und SVP knapp das Nachsehen. René Jaussi tritt wieder an, diesmal mit Sandro Schafroth. Die SP hofft, als zweitstärkste Huttwiler Partei auf den zweiten Sitz.
Die SP sieht sich als Partei mit «sozialem Gewissen», während die Mehrheit im Gemeinderat die Sparpolitik über alles stelle. So würden Investitionen gebremst, doch dürfe Huttwil wichtige Aufgaben nicht wegsparen, sondern solle gezielter investieren. Als ein wichtiges Ziel setzt sich die SP für die Einführung einer Tagesschule in Hutt­wil ein.

EDU setzt auf Alexander Grädel
Zu den Gewinnerinnen der letzten Wahlen gehörten neben der SVP auch die EDU, die mit Alexander Grädel und dank den Listenverbindungen erstmals den Sprung in den Gemeinderat geschafft hatte. Zusammen mit Beat Berger, Michael Hertig und Adrian Scheidegger steigt Grädel wieder in den Wahlkampf und zeigte sich als Ressortverantwortlicher öffentliche Sicherheit sehr engagiert beim Thema Fussgängerstreifen. Seine Mitkandidierenden verhehlen nicht, dass sie die Abläufe im Gemeinderat noch nicht kennen und dort zuerst Erfahrungen sammeln müssten.
Die Partei-Schwerpunkte der EDU sind nicht Huttwil spezifisch: Familie, Förderung der regionalen Landwirtschaft und Wirtschaft sowie ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen und Lebensraum führt die EDU in ihrem Porträt auf. Bedauert wird, dass mit dem Campus Perspektiven keine tragbare Lösung für das neue Schwimmbad verhandelt werden konnte.

SVP setzt auf Kontinuität
Als Kronfavoritin steigt die SVP ins Rennen, die 2016 den Wähleranteil von 27,26 % auf 34,17 % steigern und den 2012 verlorenen dritten Sitz zurückgewinnen konnte. Die SVP setzt mit den drei Bisherigen Manfred Eymann, Adrian Lienhart und Marcel Sommer auf  Kontinuität. Marcel Sommer erhielt bei den letzten Wahlen am meisten Stimmen aller Kandidierenden, verzichtete aber aus beruflichen Gründen auf das Amt des Gemeindepräsidenten. Als vierten Mann holte die SVP den Unternehmer Manfred Loosli (parteilos) ins Boot, der als wichtiger Arbeitgeber in der Region zweifellos für eine Überraschung sorgen könnte.
Die Partei bekennt sich zum haushälterischen Umgang mit Steuergeldern  und will den Steuersatz von 1,65 % weiterhin halten. Dementsprechend solle sich die Huttwil auf gemeinderelevante Projekte konzentrieren, mehr Verantwortung übernehmen und selber Entscheide fällen, anstatt sich extern teuer beraten zu lassen. Es dürfe nicht sein, das künftige Generationen die jetzt verursachten Schulden begleichen müssten. Unter Beibehaltung der Parkplätze soll eine Attraktivierung des Blumenstädtlis angestrebt werden. Dass die Sperrung des Brunnenplatzes für den Verkehr nach der Versuchsphase verhindert werden konnte, wertet die SVP als Erfolg, da die Sperrung existenzielle Auswirkungen auf das Gewerbe gehabt hätte.

Prognose: Werden zwei abgewählt?
Die Huttwilerinnen und Huttwiler haben nun an diesem Wochenende die Chance, aus 15 Kandidierenden die sieben besten als Mitglieder des Gemeinderates auszuwählen. Die Auswahlmöglichkeit ist schon einmal erfreulich. Zwei frei gewordene Sitze werden in jedem Fall mit neuen Kandidaten besetzt. Soviel zu den reinen Fakten.
Eine Wahlprognose ist natürlich schwierig. Und dennoch sei hier ein Schuss ins Blaue gewagt: Es dürfte vermutlich ein reines Männergremium werden. Sicher sein darf sich niemand: Es besteht die reelle Möglichkeit, dass zwei Bisherige abgewählt werden.

Von Thomas Peter