• In dieser Siedlung in Melchnau wohnen ukrainische Flüchtlinge. Damit dies klappte, war der Aufwand zu Beginn gross. · Bild: Leroy Ryser

14.04.2022
Oberaargau

Viel Aufwand für schweizerische Normalität

In Melchnau geniessen derzeit zahlreiche ukrainische Flüchtlinge die Ruhe fernab vom Krieg. Dennoch gibt es auch in der Schweiz Ungewissheiten und Unsicherheiten. Die Verantwortlichen blicken auf intensive Wochen mit bürokratischen Hürden zurück und schauen ebenso in die Zukunft.

Melchnau · Seit etwas mehr als vier Wochen leben mittlerweile gegen 60 Flüchtlinge aus der Ukraine in Melchnau. «Mittlerweile gelingt es uns gut, den Aufwand zu bewältigen», sagt die zuständige Gemeinderätin Christine Gafafer mit dem Blick zurück auf anstrengende Wochen. Der Initialisationsaufwand sei gross gewesen, sagt sie, viel habe man abklären und organisieren müssen. «Zu Beginn gab es tatsächlich gleich mehrere Feuerwehrübungen, damit alles geklappt hat.» Eine Frage des Wollens sei es aber nie gewesen, die Hilfe von freiwilligen Personen sei stets beträchtlich gewesen, betont die Melchnauer Gemeinderätin. «Und letztlich gab es für uns nie eine entsprechende Notwendigkeit, die ein solches Handeln erforderte. Eine Ernstsituation wie einen Krieg kann man eben nicht planen.» Unterdessen ginge aber vieles im geordneten Rahmen zu und her. Die Flüchtlinge seien angemeldet, hätten den N-Status mit Ausweis erhalten und würden mittlerweile auch Sozialhilfe beziehen, damit sie eigenständiger leben können. «Die Erfahrungen, die ich mit diesen Menschen machen konnte, sind durchwegs gut. Sie machen es uns einfach, sind dankbar und freundlich», erklärt Christine Gafafer weiter. Auch deshalb beurteile sie das Engagement der Gemeinde als gelungen, «mittlerweile läuft es gut», sagt sie weiter, auch, weil es nach dem grossen Startaufwand nun organisatorisch gesehen ruhiger wurde.

Zwischendurch gibt es Tränen
Rückblickend erfreute sie derweil auch die Reaktionen aus der Gemeinde. Zahlreiche Menschen zeigten sich solidarisch, darunter auch Dorfbetriebe wie die Bäckerei, die Metzgerei oder die Käserei. Dennoch sei die Situation für die Geflüchteten nicht nur einfach, verständlicherweise gebe es zwischendurch auch Tränen. «Hier müssen Menschen mit anderen Menschen Wohnungen teilen, die sie eigentlich gar nicht kennen. Viele der Männer oder Väter sind ausserdem in der Ukraine im Krieg geblieben. Und nicht zuletzt ist hier das Leben anders, die Politik oder die Sprache», zeigt Christine Gafafer die Situation weiter auf.

Bürokratische Hürden zu Beginn
Stark mitgeholfen hat in den ersten Wochen vor allem auch Christa Schönenberger vom Verein Choreo. Sie hat hautnah miterlebt, welche Hürden im alltäglichen Leben für die in die Schweiz geflüchteten Menschen anstehen. «Das Verständnis für unsere Politik oder das Sozialversicherungswesen fehlt. Viele sind im Glauben hierher geflüchtet, dass sie ihr altes Leben sofort zurückhaben, arbeiten und leben können wie zuvor», sagt Christa Schönenberger. Die ersten Hürden aufgrund bürokratischer Vorschriften hätten deshalb viele nicht begreifen können. Hier habe man viel zur Klärung beitragen müssen. «Der Gemeinde und den örtlichen Organisationen ist es gut gelungen, eine unbürokratische Hilfe zu leisten, pragmatisch zu sein, ohne die Regeln zu verletzen. Diese mussten aber auch eingehalten werden, um nicht weitere Probleme entstehen zu lassen», erklärt Christa Schönenberger. Der Aufwand, der aber tatsächlich hinter der ganzen Organisation steckte, sei vielfach von den Flüchtlingen nicht registriert worden. «Viele wissen auch nicht, dass andere Flüchtlinge derzeit in Turnhallen untergebracht sind. Dieses Verständnis, wie gut sie es hier in Melch-nau haben, erlangen sie erst schrittweise, weil sie von Bekannten hören, die ebenfalls in die Schweiz geflüchtet, aber in Massenlagern untergebracht sind.» Sowieso sei die Dankbarkeit gross, oft höre sie, dass die sirenenlose Ruhe sehr geschätzt wird.
Zugleich herrsche aber auch eine ständige Ungewissheit, zu ihren noch in der Ukraine lebenden Bekannten seien sie gut vernetzt, was aufwühlende Gefühle mit sich bringt. «Bisher habe ich noch von niemandem gehört, dass nahestehende Bekannte oder Verwandte gestorben wären. Es ist aber davon auszugehen, dass auch dieser Moment irgendwann eintreffen könnte.» Dass sich die ukrainischen Flüchtlinge im Quartier gegenseitig helfen können, dürfte allgemein und auch in solchen Momenten ein Vorteil sein, ausserdem habe das Quartier sie gut aufgenommen und erfolgreich integriert, schätzt Christa Schönenberger ein. Dass alles gut gelang, habe viel mit der Arbeit zahlreicher Freiwilliger zu tun. «Ich finde es wirklich krass, was uns in drei Wochen alles gelungen ist.»

Intensiv-Deutschkurs geplant
Dass die Flüchtigen vorerst bleiben, scheint aufgrund der Ausgangslage in der Ukraine realistisch. Auch deshalb wurden mittlerweile Schulplätze organisiert, die 22 schulpflichtigen Kinder sollen nach den Frühlingsferien bis im Sommer einen Intensiv-Deutschkurs belegen, erklärt Christine Gafafer. Erste Schnupper-Tage wurden ausserdem bereits in den für sie vorgesehen Schulklassen organisiert, damit sich die Kinder ein erstes Mal annähern können. In einem nächsten Schritt sollen derweil auch die Frauen in den beruflichen Alltag integriert werden, Gespräche zur Arbeitssuche in der Region wurden bereits aufgenommen, tatsächlich seien auch vereinzelt Frauen mit ansehnlichen ukrainischen Karrieren mit dabei, die im Schweizer Arbeitsmarkt womöglich gar mühelos integriert werden könnten. «Sie wollen ihr Leben in die Hand nehmen», sagt die Gemeinderätin weiter, entsprechend werde der Aufwand der Gemeinde in den nächsten Wochen auch weiter abnehmen. Letztlich gebe es für die weitere Betreuung auch zuständige Organisationen, aber, so betont Christine Gafafer: «Wir sind auch weiterhin gerne für sie da, wenn sie unsere Hilfe benötigen.»

Von Leroy Ryser