• Gemeindepräsident Andreas Hängärtner blickt mit Spannung voraus: Am 24. November wird sich entscheiden, ob das abgespeckte Projekt «Schulanlagen Rüegsauschachen» beim Volk durchgewinkt wird. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

30.09.2019
Region

Vom «Feld 1» in die Offensive

Auf Anfang dieses Jahres hat Andreas Hängärtner das Gemeindepräsidium von Rüegsau übernommen – mit einem schweren Rucksack. Denn wenige Monate zuvor hatte das Rüegsauer Stimmvolk den Verpflichtungskredit (Baukredit) für die Sanierung

und Erweiterung der Schulanlagen Rüegsauschachen (Etappe I) abgelehnt. Während sich die Situation um die Schulraumplanung zuspitzt und immer mehr Container aufgestellt werden müssen, um den Schulunterricht zu gewährleisten, ist im Hintergrund

gearbeitet worden. Am 24. November wird das Volk über eine «abgespeckte» Vorlage entscheiden.

Liselotte Jost im Interview mit Andreas Hängärtner, Gemeindepräsident von Rüegsau

Vor gut zwei Wochen haben der Gemeinderat Rüegsau und der Gesamtprojektausschuss über das angepasste Sanierungs- und Erweiterungsprojekt der Schulanlagen Rüegsau-

schachen öffentlich orientiert. 200 Personen kamen, um sich zu informieren. Wie haben Sie die Stimmung am Info-Anlass empfunden?

Alleine die grosse Beteiligung am Informationsanlass werte ich als positives Zeichen. Gestützt auf verschiedene Rückmeldungen wurden die Informationen des Gemeinderates als transparent empfunden. 

Die räumliche Situation in der Schulanlage Rüegsauschachen spitzt sich zu – das «Containerdorf» wächst und ist auch nicht gratis. Wie lässt sich die Situation beschreiben, auch im Hinblick auf die Entwicklung der Schülerzahlen?

Nebst dem lange anstehenden Sanierungsbedarf der Infrastruktur sind es die steigenden Schülerzahlen, welche einen dringenden Handlungsbedarf aufzeigen. Im Schuljahr 21/22 werden wir gegenüber 2016 acht zusätzliche Klassen unterbringen müssen. Neben den Klassenzimmern, welche heute nicht vorhanden sind, erfordert dies auch zusätzliche Gruppenräume, mehr Arbeitsplätze für Lehrpersonen und Raum für Spezialunterricht. Die heutige Containerlösung wird je nach Bedarf laufend erweitert. 

So sind für das nächste Jahr 230 000 Franken budgetiert. Bereits im Folgejahr kommt es zu einem weiteren massiven Kostenanstieg. Dazu kommen überdurchschnittliche Betriebs- und Energiekosten, nicht nur für die Container, sondern auch für die bestehenden Gebäude. Diese Kostenentwicklung macht mir in Bezug auf die Gemeindefinanzen grosse Sorgen. Es handelt sich um einen reinen Geldabfluss, bei welchem weder die Nachhaltigkeit der Investitionen noch die minimalen Qualiätsanforderungen der Schulen erfüllt sind. 

Der Volksentscheid vom 18. September 2018, das heisst die deutliche Ablehnung des Verpflichtungskredits (Baukredit) von 17,935 Millionen Franken für die Sanierung und Erweiterung der Schulanlagen Rüegs-auschachen (Etappe I), kann schlussendlich nicht ohne Auswirkungen auf die Kosten geblieben sein?

Verzögerungen kosten immer Geld. So müssen zum Beispiel neben den Kosten für die erneute Überprüfung des Projektes die Provisorien für einen deutlich längeren Zeitraum geplant und realisiert werden. Den resultierenden Mehraufwand genau zu beziffern ist schwierig. Es handelt sich jedoch um einen grösseren sechsstelligen Betrag.

Die Mängel der Schulanlagen sind bekanntlich schon vor 20 Jahren erkannt worden. Was ist der Grund, dass sich so lange nichts getan hat?

Das ist korrekt. Bezogen auf den Sanierungsbedarf der Liegenschaften und den damaligen Platzbedarf wurde vor ungefähr 20 Jahren ein Projekt ausgearbeitet. Insbesondere aus finanziellen Gründen wurde auf die Umsetzung verzichtet. Aus diesem Grund wurden beispielweise die beiden Pavillons nie zurückgebaut. Im Jahr 2010 hatte der Gemeinderat eine neue Studie in Auftrag gegeben. Die Planung des heutigen Projektes läuft nun bereits seit einigen Jahren. 

Im Februar verlangte eine Bürgerinitiative, in einem Jahr nochmals über dasselbe Projekt abzustimmen und dieses in der Zwischenzeit auf Sparpotenzial hin zu überprüfen. Eine sportliche Aufgabe für den Gemeinderat, obwohl die Initiative gleichzeitig eine Bestätigung darstellte, dass die Bürgerinnen und Bürger eine baldige und nachhaltige Lösung wünschen ...

Die Initiative mit über 900 gültigen Unterschriften war für den Gemeinderat doch eine Bestätigung und gleichzeitig ein klarer Auftrag, das Projekt sehr kurzfristig voranzutreiben. 

Die zeitlichen Verhältnisse (erneute Abstimmung innerhalb eines Jahres) stellten enorme Anforderungen an den Ausschuss und den Gemeinderat. 

Bei einem Projekt, das bereits mehrfach auf Kostenoptimierung überprüft wurde, gestaltete sich die Suche nach Sparpotential und dem gleichzeitigen Erhalt des minimalen Standards als schwierig. Schlussendlich konnte beim Neubau erneut rund 1,2 Millionen Franken eingespart werden. Dies ohne wesentlichen Einfluss auf die Qualität. 

Können Sie uns kurz die Projektänderungen beschreiben, die immerhin eine Einsparung von rund einer Million Franken bringen sollen?

Es handelt sich um Optimierungen beim Gebäude und der Wärmeverteilung, den Verzicht auf eine mechanische Lüftung der Turnhalle sowie deutliche Vereinfachungen bei den Aussenanlagen. 

Dies erforderte die Überprüfung und Beurteilung jeder einzelnen Kostenposition, aber auch der damit verbundenen Auswirkungen. Daneben wurden die geplanten Bauabläufe überprüft. Der vorläufige Verzicht auf die Sanierung des Klassentrakts Sekundarstufe erlaubt, dass der Schulbetrieb während den Bauarbeiten im bestehenden Gebäude gewährleistet bleibt und so auch Kosten bei den Provisorien eingespart werden können. Der vorläufige Verzicht auf die Sanierung vermindert den Baukredit um weitere 2,5 Millionen Franken. 

Dass diese Kosten sowie der weitere Sanierungsbedarf an den Primarschulanlagen noch anstehen, wurde offen kommuniziert. 

Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Und welches sind die Auswirkungen des Schulraumprojekts auf die Finanzen der Gemeinde?

Die Folgekosten für Abschreibungen, Verzinsung von Fremdkapital sowie die betrieblichen Mehraufwendungen werden jährliche Kosten von rund 700 000 Franken zur Folge haben.

Es gibt immer noch eine Opposition. Dem «Unter-Emmentaler» liegt ein Schreiben vor, welches das überarbeitete Projekt als «zweifache Mogelpackung» bezeichnet. Dies insbesondere, weil die Sanierung des Sekundarschulgebäudes in der Höhe von 2,5 Millionen nun erst für zirka 2023/2024 (Etappe 2) vorgesehen und entsprechend im Finanzplan aufgenommen werden soll. Wie nehmen Sie dazu Stellung?

Als Mogelpackung verstehe ich, wenn über etwas hinweggetäuscht wird, was hier keinesfalls zutrifft. Wir haben bereits im Juni dieses Jahres offen darüber informiert, dass wir neben den Einsparungen beim Neubau die Kosten mit der Rückstellung der Sanierung im Umfang von 2,5 Millionen senken wollen. 

Ein Grund dafür habe ich mit der Aufrechterhaltung des Schulbetriebes während den Bauarbeiten bereits erwähnt. Aufgrund der immer noch hohen Kosten galt es, die Prioritäten nochmals zu definieren. Wir kamen zum eindeutigen Schluss, die Schule braucht nun zwingend den Neubau mit den zusätzlichen Räumlichkeiten und eine neue Turnhalle. Durch den vorläufigen Verzicht der Sanierung des bestehenden Klassentrakts ergeben sich nach der Realisierung des Neubaus keinerlei Einschränkungen für den Schulbetrieb. 

Ein Einwand der Gegner sind auch die finanziellen Folgen. Rüegsau werde wegen den «unverhältnismässigen Kosten» für die Schulanlagen die höchste pro Kopf-Verschuldung im Kanton Bern aufweisen. Die Gegner bezweifeln, dass die vorgesehene Steuererhöhung von schlussendlich lediglich zwei Steuerzehnteln reichen werde. Man befürchtet weitere Steuererhöhungen.

Die Aussage der pro Kopfverschuldung lässt sich so nicht überprüfen. Die als unverhältnismässig bezeichneten Kosten fallen auch an, wenn das Projekt nicht realisiert werden kann. Zusätzlich zu diesen Kosten kann der dringende Unterhalts- und Sanierungsbedarf an den Gebäuden der Sekundarstufe im Umfang von rund 6 Millionen Franken nicht mehr aufgeschoben werden. 

Korrekt heisst dies, dass eine Steuererhöhung unumgänglich ist. Aufgrund der aktuell vorliegenden Planungswerten rechnen wir mit einer stufenweisen Erhöhung von zwei Steueranlagezehnteln. Selbstverständlich bedeutet dies auch Einschränkungen bei den übrigen Ausgaben. 

Die Verbandsgemeinden bezahlen ja Beiträge für die Kinder und Jugendlichen, die in Rüegsau die Schule besuchen. Gab es denn nie Rückstellungen für allfällige Sanierungen der Schulanlagen und der Infrastruktur?

Sie sprechen vermutlich eine Art Spezialfinanzierung für die Schule an, die jedoch aus verschiedenen Gründen nicht realisierbar ist. Die Gemeinde hat vor zwei Jahren ein Reglement erstellt, wonach Überschüsse zweckgebunden für die Schulanlagen einzulegen sind. In Jahren der relativ schwachen Investitionstätigkeiten in die Schulinfrastrukturen konnte unser Finanzhaushalt sicher etwas profitieren. Zeit also, um etwas zurückzugeben und die vertraglich zugesicherten Schulanlagen bereitzustellen. Im Übrigen sind ja nicht nur die Nachbargemeinden betroffen, sondern auch unsere eigenen Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte. 

Die Gegner weisen auf die Nachbargemeinde Hasle b.B. hin, die in einem Rekordtempo ein Modulschulhaus mit Platz für drei Kindergärten, drei Schulzimmern einem Malatelier und drei Gruppenräumen für nur gerade 3,7 Millionen Franken aufgestellt habe. Mehr als ein Drittel dieser Summe seien in Rüegsau bisher für die Planung ausgegeben worden. Weshalb strebt Rüegsau kein günstiges «Modulschulhaus» an?

Ich vermeide es, Angelegenheiten von Nachbargemeinden zu kommentieren, erlaube mir jedoch die Aussage, dass die angesprochene Gemeinde in den letzten Jahren ähnlich viel in ihre Schulinfrastrukturen investiert hat, wie bei uns nun aktuell ansteht. Somit galt es, mit dem Modulbau einzig die aktuellen Platzprobleme zu lösen. Dem gegenüber sind es bei uns neben dem fehlenden Raum auch der hohe Sanierungsbedarf an den bestehenden Gebäuden, der mit einem Modulbau weiter ungelöst bleiben würde. Zudem sind ihre Schülerzahlen durch die Auslagerung der gesamten Oberstufe im Vergleich zu uns deutlich tiefer. 

Nun aber zum konkreten Projekt. Wie würde die zeitliche Planung aussehen, falls am 24. November der Verpflichtungskredit von neu 14,255 Millionen Franken genehmigt wird?

Die aktuelle Planung sieht einen Baustart im ersten Quartal 2021 vor. Der Bezug des Neubaus und somit der Rückbau der Schulcontainer ist im Sommer 2022 geplant. 

Was würde geschehen, wenn auch dieser Kredit bachab geschickt würde?

Der fehlende Raum könnte kurzfristig einzig mit Containern und den damit verbundenen hohen Kostenfolgen kompensiert werden. Parallel müsste ein neues Projekt mit einem Planungshorizont von drei bis vier Jahren ausgearbeitet werden. Die aufgezeigten zwingenden Sanierungen müssen zwischenzeitlich ausgeführt werden. Die Auswirkungen der Kosten und Qualitätseinbussen der Schule sind nicht bezifferbar. Die Zusammenarbeit mit den Partnergemeinden und damit die Sicherung des Oberstufenzentrums wären in Frage gestellt.