• Blick auf das grosse Areal des BegegnungsZentrum St. Ulrich. · Bilder: Liselotte Jost-Zürcher

  • Tannenäste «schneiten», verkleinern …

  • … und sieden, bis das ölversetzte Wasser abfliesst. Das Öl wird anschliessend abgeschöpft.

20.02.2019
Luzerner Hinterland

Von der einstigen «Armenanstalt» zum modernen Generationenhaus

Das BegegnungsZentrum St. Ulrich in Luthern feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. In den letzten zehn Jahren hat sich das einstige Betagtenzentrum, zuvor ein Altersheim, Bürgerheim und in den Anfängen eine Armenanstalt, zu einem vielfältigen Generationenhaus entwickelt. Hier finden Alt und Jung Lebensinhalt, Gemeinschaft und Rückhalt. Im idyllischen «Innermoos» tut die Natur viel dazu, dass die Menschen sich im St. Ulrich zuhause fühlen und Ruhe finden.

Luthern · Zwei Bewohner «schneiten» mit geübtem Griff Weisstannenzweige. Diese kommen in einen Zuber. Die verbleibenden feineren Äste werden geschreddert, die groben schön gleichlang zersägt und später zu «Wedele» oder, wie man im Lutherntal sagt, zu «Bürdeli» gebunden und verkauft oder für eigene Zwecke genutzt. Mitarbeiter der Spezial-Aktivierung BegegnungsZentrum St. Ulrich (BZ) haben zusammen mit einer Gruppe von mitarbeitenden Bewohner/innen die Äste am Tag zuvor im Wald geholt. Im BZ St. Ulrich werden diese sinnvoll und vollständig genutzt – kaum ein Krümelchen geht davon verloren. Hier wird nämlich das wertvolle Weisstannen-Öl produziert und an einen langjährigen Kunden, ein Vertreiber von natürlichen Qualitätsprodukten, verkauft – abgefüllt, sauber angeschrieben und verpackt. Die gesamte Produktion wurde im BZ entwickelt. Mit dem Ziel, das was die Natur hergibt zu schätzen und zu nutzen, aber ebenso mit jedem Arbeitsschritt Menschen sinnvoll beschäftigen zu können, die im heutigen hektischen Arbeitsmarkt keinen Platz finden. «Produkte von Arve, die im Moment einen grossen Aufschwung erleben und vielfach in Österreich, aber auch im Graubünden hergestellt werden, brachten mich auf die Idee. Mit dem Gedanken an den frischen Weisstannenduft im Wald dachte ich, dass auch Weisstannennadeln einen ansehnlichen Gehalt an ätherischen Ölen haben müssten», sagt Pius Burri, der das BZ St. Ulrich zusammen mit seiner Frau Monika Burri seit 23 Jahren leitet, gegenüber dem «UE».
Es wurde viel «getüftelt», probiert und auch entdeckt, bis die Produktion so hervorragend wie heute angelaufen war. Dabei stellte man fest, dass die Nadeln das Öl nur in der kalten Jahreszeit abgeben und vorzugsweise dann, wenn das Holz in der aufgehenden Mondphase geschlagen worden war. Das passt auch in den Betriebsablauf. Denn sobald der Frühling erwacht und bis in den späten Herbst sind die mitarbeitenden Bewohner/innen des BZ St. Ulrich, von welchen einige eine praktische Ausbildung Landwirtschaft nach INSOS (PrA) absolviert haben, im weitläufigen Areal beschäftigt: Im BZ-eigenen Gewächshaus und im umfangreichen Garten sowie auf dem Feld und im Stall des an das BZ St.Ulrich angegliederten Landwirtschaftsbetriebes.

Öl kann abgeschöpft werden
Der Weisstannen-Reisig wird in einem Dampferhitzer gekocht. Das ölversetzte Wasser fliesst ab. Das Wasser senkt sich, und das Öl kann abgeschöpft werden. Je besser die Mondphase, je klarer ist das Öl. 50 Kilogramm Reisig ergeben etwa einen Deziliter kostbares Öl. Alles ist mit Handarbeit, mit Verantwortungsbewusstsein von Menschen verbunden, die hier Struktur, Gemeinschaft und einen erfüllten Alltag finden. Ganz abgesehen davon, dass der schier betörende Weisstannenduft nicht nur die Arbeitsräume, sondern auch weite Teile der Gebäude im BZ St. Ulrich erfüllt. Erwiesener-
massen hat Weisstannenduft eine hervorragende Wirkung auf Körper und Seele. Unter anderem wirkt dieses Öl wie auch andere Nadelöle gut in der Erkältungszeit, stärkt das körpereigene Immunsystem und reinigt übrigens auch die Raumluft.
Und schlussendlich erhält auch Weisstannenholz noch seine Nutzung: Mit Gerteln werden grobe, gleichmässige Späne geschnitten, gebündelt und in – selbstverständlich aus Kerzenresten zusammengeschmolzenen – Wachs getaucht. Sie ergeben so hervorragende, umweltfreundliche Anzündhilfen. Das BZ St. Ulrich steht weitläufig, modern, grosszügig und mit einer hervorragenden Infrastruktur da. Menschen aus verschiedensten Generationen treffen hier zusammen, leben zusammen, bilden eine grosse, liebevoll geführte Gemeinschaft.

Natur und Tiere mit wichtigem Stellenwert
Natur und Tiere haben einen wichtigen Stellenwert, ersetzen manches chemische Medikament. So bietet die Spezial-Aktivierung unter anderem auch die sogenannte Tgl-tiergestützte Intervention unter der Leitung des Tgl-ausgebildeten Zentrumsleiters Pius Burri an. Die Hauptakteure sind dabei die drei Therapie-Lamas Grigio, Brunello und Jony sowie der zweieinhalbjährige Therapiehund Aaron. Aaron bewegt sich in den Haupträumen weitgehend frei, ist ein geliebter treuer Begleiter und manchmal auch Tröster der hier lebenden Menschen.
Lamas sind ruhige und liebevolle Tiere, die sich einfühlend der Gemütsstimmung und dem Gesundheitszustand des Menschen anpassen, ihn körperlich und emotional in Bewegung und ebenso zur Ruhe bringen. Drei bis vier Bewohner aus verschiedenen Zielgruppen dürfen jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag unter der Begleitung der Betreuerin Vreny Waser ein Tier führen. Aber schon das Dabeisein und Mitlaufen ohne ein Tier zu führen tut seine Wirkung. Dazu kommen die ebenfalls betreute Fell- und Stallpflege der Lamas.

Viel Abwechslung im Alltag
Natur, Tiere und das Arbeiten in den Ateliers in verschiedenen Arbeitszweigen sorgen dafür, dass kein Tag dem andern gleicht, dass der Alltag interessant, abwechslungsreich und spannend ist. Die Entwicklungen im Betreuungsprozess und vielfach auch im Gesundheitsverlauf der einzelnen, in die Therapien involvierten Bewohner sind in der Regel positiv, da auch deren Selbstwertgefühl und die Freude an sinnvoller Arbeit gestärkt wird. Abgesehen davon, dass die Arbeiten möglichst im Tal generiert werden – daraus entstehen zusätzliche Wurzeln zum Ort, an welchem so viele verschiedene Menschen zusammenleben.
Das BegegnungsZentrum St. Ulrich bietet 60 Wohnplätze, 47 davon im Haupthaus und 13 in den externen Gebäuden mit diversen betreuten Wohnformen. Die Institution mit öffentlicher Cafeteria/Restaurant und einem vielfältigen Veranstaltungsangebot wird als offenes Haus geführt und vermittelt seinen Bewohnern damit die grösstmögliche persönliche Lebensgestaltung. Ihr Durchschnittsalter beträgt zirka 70 Jahre und liegt zwischen 20 und 95 Jahren.

Drei Zielgruppen
Das BZ richtet sich erstens an 65-jährige und ältere Personen im Bereich Geriatrie mit geringen bis schweren Altersbeschwerden und zweitens an Personen unter 65 Jahren mit psychischer Verhaltensauffälligkeit/Erkrankung, mit einer Wahrnehmungsstörung und/oder Störung im Sozialverhalten (diese Personen müssen stabil sein und in einem Zustand, in welchem keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung besteht).
Die dritte Zielgruppe sind Personen ab 20 Jahren mit kognitiver Beeinträchtigung sowie sozialen und/oder psychischen Schwierigkeiten (junge Erwachsene mit einer abgeschlossenen PrA INSOS). Menschen aus der Gemeinde Luthern haben Aufnahmepriorität. Daneben steht das Heim auch Bewohnern aus den umliegenden Gemeinden sowie vereinzelt aus dem Kanton Bern und weiteren Kantonen offen.

Gut zu wissen
Jubiläumsfeier BegegnungsZentrum St. Ulrich, Sonntag, 16. Juni 2019, ab 10 Uhr, mit Gottesdienst, Festwirtschaft, Rundgang, Verkaufsstand, Unterhaltung, Ausstellung, Spielparcours und vielem mehr.
www.zentrum-der-begegnung.ch

Von Liselotte Jost-Zürcher