• Andrea Brügger ist LKW-Fahrerin aus Leidenschaft und glücklich, den Umstieg von der Gastronomie- in die Transportbranche gewagt zu haben. · Bilder: Marion Heiniger

  • Während Andrea Brügger darauf wartet, abladen zu können, hat sie Zeit zu plaudern.

  • Die Truckerin belädt ihren LKW.

  • Den Druckschlauch am Futtersilo zu befestigen ist auch für eine Frau kein Problem.

02.03.2023
Oberaargau

Von der Gastro-Küche in die Fahrerkabine

Die 26-jährige Andrea Brügger hat den Kochlöffel an den sprichwörtlichen Nagel gehängt und gegen das Steuer eines 40 Tonnen schweren Lastwagens getauscht. Als Quereinsteigerin machte sie die Ausbildung zur LKW-Fahrerin bei der TRAVECO Transporte AG in Herzogenbuchsee. Seither fährt die leidenschaftliche Truckerin tagtäglich Bauernhöfe in der ganzen Schweiz an.

Es ist vier Uhr morgens, der Wecker von Andrea Brügger klingelt. Mühelos steht sie auf und macht sich für den Arbeitstag bereit. «Ich habe keine Probleme, um vier Uhr aufzustehen, unterdessen wache ich sogar am Wochenende um diese Zeit auf», erzählt die junge Frau, während sie ihren 40 Tonnen schweren Lastwagen durch den immer dichter werdenden Strassenverkehr lenkt. Andrea Brügger ist LKW-Fahrerin aus Leidenschaft. In der Regel ist sie kurz vor fünf auf der Arbeit, sieht die Frachtpapiere nochmals durch und nimmt sich kurz Zeit für einen Kaffee und einen Schwatz mit ihren Kolleginnen und Kollegen, bevor sie pünktlich um fünf Uhr vom Hof der TRAVECO in Herzogenbuchsee fährt. An diesem Morgen ist es jedoch etwas anders. Ihr LKW steht noch in der Reparaturwerkstatt und muss zuerst abgeholt werden. Ein Arbeitskollege nimmt sie mit. Als sie endlich wieder auf dem Hof von TRAVECO einfährt, ist es bereits nach sechs. Der Truck ist noch leer und muss beladen werden. Das, was normalerweise die Nachtschicht für die Kraftfahrenden erledigt, muss Andrea Brügger an diesem Morgen selbst tun. Sie fährt zur Füllstation, steigt auf den Wagen und fängt an, die drei zuvor vorbereiteten Kammern mit Mischfutter zu befüllen. Neun Tonnen Legehennen-Futter in der ersten, sieben Tonnen Kälberfutter in der zweiten und sieben Tonnen Futter für Milch­kühe in der dritten Kammer. Kurz nach halb sieben steuert sie den 500 PS starken Scania vom Hof. Ihr Ziel: Ein Bauernhof im Kanton Aargau.

Der Wunsch nach Veränderung
Andrea Brügger ist eine Quereinsteigerin in der Transportbranche. Ursprünglich kommt sie aus der Gastronomie und hat die Lehre als Köchin in einem Altersheim in Langenthal durchlaufen. Nach der Ausbildung wechselte sie ins Catering und kehrte etwas später wieder zurück in die Altersheimküche. Köchin war zwar nicht ihr Traumberuf, doch hätte er ihr eigentlich ganz gut gefallen, wären da nicht die schlechten Arbeitsbedingungen und das niedrige Gehalt gewesen. «Der Lohn war im Vergleich mit anderen Berufen sehr tief, obwohl ich oft an den Wochenenden und abends arbeiten musste», bedauert Andrea Brügger. Zudem hatte sie durch die stehende Arbeit und die ungesunde, vornübergebeugte Haltung am Herd bereits mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Der schon seit Längerem gehegte Wunsch, den Beruf zu wechseln, verstärkte sich während der ersten Corona-Welle. «Das war eigentlich noch das Tüpfelchen auf dem ‹i›», gesteht Andrea Brügger. Da sie in einer Altersheimküche arbeitete, gab es während des Lockdowns nicht wie bei den Restaurants, welche sogar zeitweise schliessen mussten, weniger Arbeit, sondern durch die strengen Hygienevorschriften sogar um einiges mehr. «Noch einmal wollte ich eine solche Welle nicht mehr mitmachen», gibt sie unumwunden zu. So beschloss sie, ihren Wunsch nach Veränderung in die Tat umzusetzen. Andrea Brügger wollte Polizistin werden. «Doch das hat leider nicht geklappt.» Plan B war, in die Transportbranche zu wechseln. Auf diese Idee kam sie, als sie eine Zeit lang einen befreundeten LKW-Fahrer auf seinen Touren begleitete. «Da hat es mir den Ärmel reingenommen.» Ihr Kollege war es auch, der sie auf das Quereinsteigerprogramm von TRAVECO aufmerksam gemacht hatte. «Während der Corona-Pandemie hatte es aber für dieses Programm sehr viele Bewerbungen und ich stellte mich schon darauf ein, den LKW-Führerschein selber finanzieren zu müssen», erinnert sie sich. Doch ihre Befürchtungen waren umsonst. Sie erhielt einen Ausbildungsplatz in Herzogenbuchsee. Obwohl noch keinerlei Erfahrung, stieg sie im September 2021 mit dem gleichen Lohn bei ihrem neuen Arbeitgeber ein, den sie zum Schluss bei ihrer Tätigkeit als Köchin erhalten hatte. Bezahlt wurde auch die Ausbildung. Im Gegenzug hat sich Andrea Brügger für drei Jahre verpflichtet. Es verging knapp ein dreiviertel Jahr, bis die junge LKW-Fahrerin bereits allein durch die Gegend gondeln durfte. «Ich habe mich während der Ausbildung sehr gut aufgehoben und unterstützt gefühlt, und das Team ist wirklich toll», schwärmt die 26-Jährige.

LKW fahren als Lebenseinstellung
Andrea Brügger ist nicht die Einzige, die der Gastronomie den Rücken gekehrt hat. «Ich war noch eine der wenigen, die nach der Ausbildung zur Köchin auf dem Beruf weitergearbeitet hat. Die meisten meiner Kollegen und Kolleginnen, die mit mir zusammen die Ausbildung gemacht hatten, haben sich schon kurz nach der Lehre beruflich neuorientiert.» Heute ist sie glücklich, den Umstieg von der Küche in die Fahrerinkabine gewagt zu haben. «LKW zu fahren, ist für mich nicht nur einfach ein Job, sondern eine Lebenseinstellung», stellt sie klar. Besonders liebt es Andrea Brügger, früh morgens zu fahren, wenn an schönen Tagen die Sonne langsam aufgeht. Da sie Schüttgut transportiert, ist sie auch nicht an fix definierte Abladezeiten gebunden und kann sich den Tag selbst einteilen. «Den Landwirten ist es oftmals egal, wann wir auf dem Hof ankommen, Hauptsache, wir liefern am gewünschten Tag. Es kann jedoch des Öfteren vorkommen, dass die Anlieferung am Vormittag oder am Nachmittag gewünscht wird, ein genauer Zeitpunkt wird dabei aber meist nicht angegeben. Dem Stress, dem viele LKW-Fahrer mit anderen Ladungen ausgeliefert sind, gibt es bei mir nicht», zeigt sich Andrea Brügger zufrieden. Doch zum perfekten Glück fehlt doch noch etwas. Sie hat keinen eigenen Lastwagen. «Ich fahre als Ablösung und erhalte den LKW, der gerade frei ist. Es ist also nie lange der gleiche. Die Anwärter für einen eigenen LKW stehen auf einer Warteliste. Kündigt ein anderer Fahrer oder geht einer in Pension, rutscht der nächste auf der Liste nach», erklärt die Truckerfahrerin.

Als Frau noch immer belächelt
Als weibliche Kraftfahrerin werde man noch immer belächelt, weiss Andrea Brügger aus Erfahrung. «Man lernt sich in diesem männerdominierten Beruf als Frau durchzusetzen, das war aber bei meinem vorherigen Beruf als Köchin nicht anders.» Sprüche von ihren Arbeitskollegen müsse sie sich dabei aber nicht anhören, eher vom einen oder anderen Bauern. «Einige können nicht verstehen, wieso nun eine Frau in dem grossen LKW sitzen muss. Da höre ich schon mal einen Spruch wie: ‹Kannst du denn überhaupt rückwärtsfahren?› In der Regel antworte ich dann: ‹Nein, ich habe den Führerschein nur fürs Vorwärtsfahren gemacht, jetzt muss ich plötzlich noch rückwärtsfahren?› Danach ist meistens Ruhe», erzählt Andrea Brügger lachend. In der Regel jedoch wird sie als Frau von den Landwirten respektiert. Obwohl sie mit ihren Schüttgutladungen sehr zufrieden ist, könnte sich Andrea Brügger auch vorstellen, einmal als Fernfahrerin in anderen Ländern unterwegs zu sein. «Aber nur, damit ich es einmal gemacht habe. Für eine längere Zeit könnte ich mir das nicht vorstellen. Ich fahre sehr gerne in der Schweiz. Hier kenne ich mich aus, hier kann ich mich verständigen.» Zudem sei sie abends gerne wieder zu Hause bei Freunden und Familie, erklärt die Oberaargauerin.

Neun Tonnen in 30 Minuten
Nach rund eineinhalb Stunden Fahrt hat Andrea Brügger ihr Ziel im Kanton Aargau erreicht. Sie fährt ihren Wagen zielsicher zur Legehennen-Scheune, spricht kurz mit der Bäuerin und beginnt mit den Vorbereitungen. Sie schliesst das eine Ende eines schweren und starren Druckschlauches an ihren Lastwagen an, das andere Ende befestigt sie beim Futtersilo. Mittels einer Fernbedienung startet sie den Motor des LKWs und pumpt das Futter mit Druck hoch hinauf in den Silo. Nach rund 30 Minuten ist die erste Kammer leer. Das Kälberfutter der zweiten Kammer wie auch das Futter für die Milchkühe in der dritten Kammer können beim gleichen Bauern abgeladen werden. Andrea Brügger fährt ihren Truck zielsicher über den Hof zum Kuhstall und beginnt, den Anschluss für den nächsten Ablad vorzubereiten. Innert Kürze sind die jeweils sieben Tonnen Futter für Kälber und Kühe abgeladen. Leer macht sie sich auf den Weg in Richtung Villmergen, um Hafermehl als Rückfuhre zu laden. Dort angekommen, ist sie nicht die Einzige, die darauf wartet, abladen zu können. Andrea Brügger nutzt die Zeit, um mit einem ebenfalls wartenden Berufskollegen zu plaudern. Nach der Mittagspause wird sie nochmals eine Tour zum nächsten Bauernhof fahren, bevor sie gegen 17 Uhr Feierabend machen kann.

Von Marion Heiniger