• Martin Schöni setzt sich als Hausarzt täglich mit dem Coronavirus auseinander. Im «UE»-Monatsinterview spricht er über die neue Situation mit dem Virus. · Bild: Leroy Ryser

27.03.2020
Emmental

Vorfreude und Anspannung nehmen zu

Das Coronavirus hat auch unser Land im Griff. Die Zahl der Erkrankten steigt rasant, das gesellschaftliche Leben ist auf praktisch null heruntergefahren, die Schulhäuser sind geschlossen und die Wirtschaft steht vor dem finanziellen Absturz. Martin Schöni, Hausarzt mit eigener Praxis in Rüegsauschachen, erzählt im Gespräch mit dem «UE», wie er mit dieser Situation umgeht.

Ernst Marti im Gespräch mit dem Hausarzt Dr. med. Martin Schöni, Rüegsau.

Martin Schöni, wir leben aktuell in einer für uns ganz ungewohnten Situation. Das vom Osten kommende Coronavirus beeinträchtigt unser Leben immer mehr. Wie erleben Sie als Arzt diese Situation?
Eine solche Situation hatte ich noch nie. Corona ist ein neues Virus, von dem wir einzig wissen, dass es dagegen weder einen Impfstoff noch eine wirksame Behandlungsmethode gibt. Es hat die Bevölkerung verunsichert. Die Zahl der Erkrankten, damit verbunden leider auch die Zahl der Todesfälle, nahm zu und weckte damit grosse Ängste. Gleichzeitig gab es zudem die saisonal bedingte normale Grippe, welche noch mehr Erkrankungen zur Folge hat als jene vom Corona-virus, jedoch ähnliche Krankheitssymptome aufweist. Für uns ist der Druck momentan extrem hoch. Wir erhalten täglich oft mehrmals neue Weisungen von Bund und Kanton, die zu berücksichtigen sind. Für uns gilt es, Ruhe und Objektivität zu behalten, denn niemand kann voraussagen, was uns die nächste Zeit noch erwartet.

Wie reagieren Sie, wenn in der gegenwärtigen Situation jemand mit Husten und Fieber zu Ihnen kommt? Wird da sofort ein Schnelltest angeordnet und die ganze Familie unter Quarantäne gestellt?
Für solche Fälle haben wir Ärzte die Weisung vom Bundesrat betreffend «normale Grippe» und «Corona» zu befolgen. Wenn jemand mit Fieber und Husten zu uns kommt, ist die Indikation nicht so, dass wir sofort einen Abstrich machen dürfen. Die betreffende Person muss gemäss den aktuellen Richtlinien vom Bund zu Hause bleiben. Bei Zunahme der Krankheitssymptome mit Atemnot muss sich die Person allenfalls erneut telefonisch beim Hausarzt melden.

Suchen die Leute gegenüber früher vermehrt den Arzt auf? Ihre Arztpraxis ist schon zu «normalen» Zeiten gut ausgelastet. Können Sie das überhaupt noch bewältigen?
Wir haben sehr viele Telefonanrufe, jedoch weniger Patientinnen und Pa-tienten in der Praxis. Aktuell haben wir pro Tag zirka 200 Telefonanrufe, im Normalfall sind es die Hälfte. In der Sprechstunde dagegen hat es gegenüber der Zeit vor Corona deutlich weniger Patienten, da wir nur akute Erkrankungen behandeln.

Wie erleben Sie Ihre Patientinnen und Patienten im heutigen speziellen Zeitpunkt? Haben Sie Angst vor diesem hochansteckenden Virus?
Es gibt Leute, die meinen, «das ist doch nicht so schlimm». Es gibt jedoch eine Mehrheit, die sehr sensibel reagiert. Gerade ältere Menschen, die als sogenannte Risikopatienten über 65-jährig allenfalls noch unter Lungenkrankheiten, Diabetes, Bluthochdruck usw. leiden, versuche ich zu beruhigen. Leute mit einem guten Allgemeinzustand haben immer die besseren Chancen als eine Person, die unter Vorerkrankungen leidet. Ich denke jedoch nicht, dass das in allen Fällen relevant ist. Auch ein Diabetiker kann nämlich gute Überlebenschancen haben. Man rechnet damit, dass maximal zwei Prozent der Erkrankten Corona nicht überleben. Diese Aussage ist jedoch vorsichtig zu interpretieren, denn eine Prognose abzugeben, ist schwierig. Wir sind keine Propheten. Man muss den Leuten jedoch deutlich machen, dass das Virus nicht behandelt werden kann. Entweder übersteht man es dank den körpereigenen Abwehrkräften oder man stirbt daran. Das ist eine harte Tatsache, an der nicht zu rütteln ist, so brutal es klingt.

Wie reagieren Menschen, die sich einer Operation unterziehen sollten, darauf, dass diese Operation verschoben oder erst in ferner Zukunft durchgeführt werden kann, weil die Spitäler ausgelastet sind?
Ich stosse auf viel Verständnis, denn es handelt sich ja ausschliesslich um elektive (nicht dringliche oder aufschiebbare) Eingriffe.

Was haben Sie in Ihrer Praxis vorgekehrt, um die Gefahr von Corona-Ansteckungen zu verhindern?
Im Wartezimmer dürfen sich höchstens noch drei Personen aufhalten, die restlichen Stühle haben wir weggeräumt. Zeitungen, Prospekte und Spielsachen für Kinder haben wir wegen der Ansteckungsgefahr entfernt. Unmittelbar nach dem Eingang befindet sich eine Station, bei der die Leute zwingend die Hände desinfizieren müssen. Sofern vertretbar, haben wir einzelne regelmässige Kontrollen terminlich herausgeschoben, um die «Personendichte» in der Praxis zu reduzieren. Dadurch schaffen wir Freiraum für die Behandlung möglicher aktueller und dringender Fälle.

In Ihrer neuen und modern eingerichteten Praxis hat es drei Sprechzimmer. Wieviele Leute arbeiten bei Ihnen?
Drei Medizinische Praxisassistentinnen mit insgesamt 220 Stellenprozenten plus eine Auszubildende. Dazu kommen eine Arztsekretärin mit 40 Prozent sowie eine 100-Prozent- Angestellte für Informatik, Finanzen und Personal.

Wie finden Sie die vom Bund erlassenen Bestimmungen zur Eindämmung der Virus-Ansteckungen? Erfolgten diese Ihrer Ansicht nach zeitgerecht und im richtigen Ausmass? Finden Sie es richtig, dass der Bundesrat auf eine Ausgangssperre verzichtet hat?
Man kann davon ausgehen, dass Corona-Tröpfcheninfektionen maximal drei Meter weit möglich sind. Das ist die Theorie, in der Praxis kann natürlich alles ganz anders sein. Ich meine, dass die vom Bundesrat verordneten Massnahmen überlegt und zeitgerecht erfolgten und ich finde es gut, dass auf den Erlass eines Ausgehverbotes verzichtet wurde. Die Menschen benötigen Bewegung, ein Ausgehverbot könnte Ängste wecken und andere schwerwiegende zwischenmenschliche Probleme geben.

Der Bundesrat hat beschlossen, mehr Corona-Tests und medizinische Hilfsmittel einzukaufen. In Bern musste mangels Tests die Inbetriebnahme einer Drive-In-Corona- Schnellteststation zurückgestellt werden. Tragen diese Schnelltests überhaupt etwas zur Reduktion der Infektionen bei?
Einen derartigen Test herzustellen ist kompliziert und anspruchsvoll. Ich finde es sinnlos, so eine Drive-in- Schnellteststation in Betrieb zu nehmen. Da fahren plötzlich alle Leute, auch solche, die es gar nicht nötig haben, hin, um sich testen zu lassen. Die Vorschriften des Bundesamtes für Gesundheit machen dahingehend Sinn, dass zuerst eine Bedarfsabklärung gemacht wird. Der Test sollte erst ausgeführt werden, wenn diese Abklärung nach verschiedenen definierten und einheitlichen Kriterien positiv war.

Desinfektionsmittel wurden zur Mangelware, bei Medikamenten darf nur noch eine Packung abgegeben werden. Besteht da plötzlich ein Engpass und falls ja, warum?
Eigentlich besteht kein Engpass, das Ganze wurde ausgelöst durch Personen, die in den Apotheken Hamsterkäufe von Medikamenten tätigten. Wir halten uns an diese Weisungen. Es hat keinen Sinn, dass wir haufenweise Medikamente abgeben, die später im Kehricht landen. Übrigens gab es in den letzten zwei Jahren immer mehr Probleme. Zirka 200 Medikamente waren während Wochen nicht lieferbar, unter anderem, weil sie im Fernen Osten statt hier produziert werden. Das ist nur eine der negativen Folgen der immer mehr vorangetriebenen Globalisierung.
Man könnte fast Parallelen ziehen zu der Zahl von Spitalbetten. Jahrelang wurden kostengünstige Spitäler wie hier in der Nähe Sumiswald, Huttwil, Grosshöchstetten, Oberdiessbach und weitere geschlossen, und plötzlich hat man zuwenig Spitalbetten.

Was können Sie als Arzt der Bevölkerung sagen, wie sie sich in der gegenwärtigen Situation verhalten sollen?
Haltet euch im Eigeninteresse an die vom Bundesrat vorgegebenen Massnahmen. Besonders die älteren Leute sollen sich jetzt möglichst zuhause aufhalten.

Sie haben eine Verwaltungslehre gemacht und danach in der ehemaligen Spar- und Leihkasse Sumiswald gearbeitet. Warum haben Sie den viel beschwerlicheren Weg zum Arzt einer Bankkarriere vorgezogen?
Hauptgrund dafür, dass ich Medizin studieren wollte, waren gesundheitliche Probleme, die ich beim Ausüben des Spitzensports hatte. Der Weg war hart und mit vielen Entbehrungen verbunden, doch die einmal getroffene Entscheidung war richtig.

Sie haben einen anspruchsvollen Beruf, in dem Sie sich voll zugunsten Ihrer Patientinnen und Patienten einsetzen. Wie erholen Sie sich?
Dem Laufsport bin ich treu geblieben. Drei- bis viermal pro Woche geht es etliche Kilometer der Emme entlang, um fit zu bleiben. Im letzten Oktober schaffte ich in München einen Halbmarathon. Daneben liebe ich die Musik. Schwyzerörgeli, Alphorn und Zugposaune sind meine Musikinstrumente. Modell-Segelflug ist ein weiteres Hobby. Und nicht zuletzt hilft mir meine kleine Familie mit den beiden Dackeln, mich immer wieder zu erden.

Gibt es noch ein spezielles Anliegen von Ihnen?
Ich finde es wichtig, dass die ganze Schweiz die vom Bundesrat verfügten Massnahmen befolgt. Ich finde es ebenfalls sehr wichtig, dass all die Klein- und Kleinstbetriebe, die heute in ihrer Existenz bedroht sind, rasch, gut und wirkungsvoll finanziell unterstützt werden.