• Die Jagdgruppe Rohrbach. Von links: Mauro Misteli mit Igor, Hubert Kölliker mit Basco, Christoph Krähenbühl und Daniela Misteli mit Kai. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

01.11.2019
Oberaargau

Weidmannsheil auf dem Rohrbachberg

Hegen, Pflegen, Jagen – das sind die Aufgaben der einheimischen Jägerinnen und Jäger. Vielfach tun sie es im Hintergrund, kaum beachtet von der Bevölkerung. Während der Jagdzeit aber schlägt ihr Puls höher. Gruppenweise schwärmen sie durch die Wälder und Täler und erlegen gezielt Rehe, um die Bestände kontrolliert und mit gesunden Tieren zu erhalten. Der «Unter-Emmentaler» war einen Tag lang mit der Jagdgruppe Rohrbach unterwegs.

Rohrbachberg · Samstagmorgen auf dem Rohrbachberg. Die Sonne schickt zaghaft die ersten Strahlen über den Wald, erreicht knapp den Essplatz der Jäger, wo schon ein Feuer brennt. Christoph Krähenbühl aus Rohrbach fährt eben auf den Platz. Gemeinsam wird ein Tisch, werden diverse Utensilien ausgeladen und aufgestellt. Eine kalte Platte und Züpfe folgen – das «Jäger-zmorge» vor dem Aufbruch in den Wald hat Tradition.
Die Hunde warten ungeduldig, heulen. Der Berner Laufhund Kai, der Luzerner Laufhund Basco und der – für die Jagd eher untypische – Lagotto Romagnolo, Igor, spüren, dass es bald losgeht. Wie können Frau und Herr nur so seelenruhig «zmörgele», scheinen sie zu denken.
Das Morgenessen ist aber auch ein Briefing. Die Gruppe bespricht sich, entscheidet, im angrenzenden Wald mit Jagen zu beginnen. Die Jäger verteilen sich mit den Hunden in vier Ecken. «Weidmannsheil!», wünscht man sich gegenseitig.
Nach einigen Minuten steht jedes am festgelegten Platz. Die Hunde werden von der Leine gelassen und verschwinden wie die Raketen im Dickicht. Schon bald ist Kai zu hören. Wenig später zeigt sich bei Hubert Köllikers Standort eine Rehgeiss. Zu weit weg ... er lässt das Gewehr sinken. Wieder kommt Kais Geheul näher. Hubert Kölliker reisst das Gewehr erneut hoch zielt – der Schuss dröhnt durch den Kaser-Wald. Es ist unheimlich schnell gegangen. Drei Hornstösse rufen die andern herbei. Stolz kommt Kai daher, wird gelobt. «Gut gemacht, bist ein toller Hund.» Vor der roten Arbeit (dem Ausweiden) werden die Formalitäten erledigt.

Respekt vor der Natur
Der Jäger steckt der Rehgeiss einen kleinen Tannenzweig in den Mund. Die Handlung soll die Ehrfurcht und den Respekt vor der Natur bezeugen. Bald sind die andern da, auch Basco und Igor keuchen herbei. «Weidmannsheil» – «Weidmannsdank»: Die Rituale auf der Jagd, die gegenseitige Achtung sind wichtig und werden gepflegt. Die Eingeweide des Rehs werden sauber entfernt. «Die Hygiene ist besonders wichtig», erklärt Hubert Kölliker. Weder Kot noch Urin oder Mageninhalt sollen das Fleisch berühren. Gemeinsam wird das erlegte Reh durch den Wald hinaufgetragen, markiert und dann unauffällig an einen Ast gehängt. Die Hunde können sich in dieser Zeit erholen.
Jägerin und Jäger verteilen sich daraufhin erneut, diesmal auf der anderen Seite des Waldes. Kaum eine Viertelstunde später dröhnt wieder ein Schuss. Christoph Krähenbühl hat seinen ersehnten grossen Bock erlegt. Die Freude ist allseits gross.

Nicht «nur» zum Jagen da
Wer auf dem Weg zum Essplatz zurück eine Hand frei hat greift nach Pilzen, steckt diese in die weite «Kuttentasche». «Wir sind nicht nur zum Jagen im Wald», strahlt Christoph Krähenbühl. Und ruft schon wieder: «He, nimm dä dört!» Denn er hat mit seinem Bock und dem Gewehr genug zu tun, kann nicht noch Pilze aufheben.Nicht selten gibt’s bei der Jagdgruppe Rohrbach zum Mittagessen ein delikates Pilzgericht. An diesem Tag hat allerdings das Restaurant Eintracht, Rohrbach, vorgesorgt. Christoph Krähenbühl hat würziges Gulasch und Knöpfli mitgebracht, die vom «Küchenteam», Susanne und Toni Erni, auf dem Feuer fertig zubereitet werden.
Die Jagdgruppe Rohrbach erfreut sich dank dem Landbesitzer Rudolf Burkhalter einer überaus komfortablen Situation. Am Waldrand mäht er jeweils ein Stück Land, auf welchem die Jäger parkieren und ihren Ess- und Sammelplatz einrichten können. Mit einem praktischen Unterstand ist auch für Regenwetter vorgesorgt. Das allerdings erübrigt sich an diesem Samstag – strahlendes, warmes Herbstwetter macht den Jagdtag zusätzlich zu einem speziellen Erlebnis.
Nach dem späten Mittagessen bleiben Kai und Basco angebunden bei Susanne und Toni Erni zurück. Die Jäger wollen nicht riskieren, dass die jungen, kräftigen Laufhunde am Abend noch nicht zurückgekehrt sind.

Sekundenbruchteile entscheidend
Das «Weidmannsheil» ist der Jagdtruppe noch ein drittes Mal hold. Mauro Misteli erlegt einen schönen grossen Kitz-Bock – genauso wie er es sich gewünscht hatte. Die anderen Gruppenmitglieder machen sich im steilen Wald auf, um Mauro zu helfen und ihm zu gratulieren – Weidmanns-heil! Auf dem Weg ist Hubert Kölliker nachdenklich. Er mag dem jungen Kollegen den Erfolg gönnen, hat hundertfach erfahren, was es nach allem Jagdfieber bedeutet, auf ein Tier zu schiessen. «Es geht alles so schnell. Du siehst das Reh kommen, identifizierst dich mit ihm. Du erkennst, was es ist, ob es dem entspricht, was du dir vorstellst – Kitz, Geiss, Bock – und du entscheidest in Bruchteilen einer Sekunde. Wenn du abgefeuert hast, holt nichts auf der Welt den Schuss zurück. Den Gedanken, dass du eben ein Tier erschiesst, klammerst du aus.»

Aktiv in allen vier Jahreszeiten
Jährlich legt der Kanton fest, welche und wie viele Tiere geschossen werden dürfen. Das Ziel ist es, den Bestand zu regulieren, zu kontrollieren und damit soweit als möglich auch die Gesundheit der Tiere zu gewährleisten. Hegen, pflegen – und jagen. In der Jagdzeit ist die Reihenfolge umgekehrt. Für die passionierten Jäger sind es die wichtigsten Wochen im Jahr. Aber sie beobachten die Natur rund ums Jahr, wissen in ihren heimischen Revieren genau, wie sich der Rehbestand ent-
wickelt, wo die schwersten Böcke, die kräftigsten Kitze, die grössten Geissen sind. «Rehe sind standorttreu», erzählt Hubert Kölliker. Sie legen keine weiten Wanderungen zurück.
Wenn sie aufgescheucht werden, kehren sie später in ihr Dickicht, in ihr Jungholz zurück. Sie kennen ihre Umgebung, weichen nicht mehr, wenn der Bauer mit dem Traktor kommt – auch nicht, wenn sie gegen Ende der Jagd die Jäger sehen und hören. Sie ducken sich, bleiben still, ausser wenn sie durch Hunde oder ungewohnten Lärm aufgescheucht werden. «Man könnte fast über sie stolpern», weiss Hubert Kölliker.
Auf dem Platz am Waldrand ist die Gesellschaft inzwischen gewachsen. Der Landbesitzer, Angehörige und Jagdfreunde sitzen gemütlich am Tisch. Die Glut ist bereit für die Cervelats. Der erfolgreiche Jagdtag geht in die letzte, gemütliche Runde. Jägerin und Jäger halten aber klar fest: «So geht’s nicht immer. Es gibt Jagdtage, an welchen wir ohne Beute heimkehren.» Denn es sei das absolute Credo der Jagdgruppe Rohrbach, nicht einfach auf irgendein Reh zu schiessen, sondern genau hinzuschauen, ob es den Kriterien des Kantons sowieso, aber auch den eigenen entspreche.
Wo im Kanton Bern Jägergruppen, meist wegen Überalterung der Mitglieder oder weil eines weggezogen ist, auseinanderfallen, ist es oft schwierig, Nachfolge zu finden. Das Erlangen des Jagdpatents ist sehr anspruchsvoll, teuer, verlangt eine starke Beziehung zur Natur, ein grosses Verantwortungsbewusstsein – und natürlich eine gehörige Portion Jägerblut. Letzteres wird nicht selten von den Vätern auf den Nachwuchs vererbt.

«Es passt!»
Die Jagdgruppe Rohrbach als solche ist noch jung und erst seit zwei Jahren gemeinsam unterwegs. Hubert Kölliker aus Rohrbach war vorher in einer anderen Gruppe, deren ehemalige Mitglieder nicht mehr jagen gehen oder gar gestorben sind. Christoph Krähenbühl, ebenfalls aus Rohrbach, war früher zu zweit unterwegs und stand plötzlich ebenfalls alleine da. Die beiden schlossen sich mit dem frisch patentierten Ehepaar Daniela und Mauro Misteli aus Heimisbach zusammen. «Jedes musste sich ein bisschen anpassen», blickt Hubert Kölliker zurück. «Aber es passt!», freut er sich. Es passte auch an diesem fröhlichen, ausgelassenen Abend rund um das Feuer auf dem Rohrbachberg.