• Der Künstler Heinz Allemann in seinem Atelier in Eriswil. · Bild: Thomas Peter

14.03.2019
Oberaargau

«Wenn ich Farben sehe, kann ich mich kaum beherschen»

Franz Eggenschwiler war zwar sein prägender Mentor, doch künstlerisch hat sich der Eriswiler Heinz Allemann immer auf eigenen Füssen bewegt und weiterentwickelt. Mal in Öl, mal mit Gips oder digital am Computer. Jetzt greift er erneut vermehrt zum Pinsel, um Farbe wieder riechen zu können: «Farben sind fast wie eine Droge für mich.»

Eriswil · Heinz Allemann nippt an seinem Glas Wasser. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Rita sitzt er am gemütlichen Küchentisch in seinem Haus in Eriswil, in dem er schon seit bald 30 Jahren wohnt. Der 63-jährige Künstler wirkt auf den ersten Blick, zurückhaltend, abwartend, fast schon schüchtern. Aber seine quirligen Augen gleiten lebendig hin und her und sprechen eine ganz andere Sprache, als der erste Blick vermuten lässt: In seinem Innern brennt ein Feuer, brodelt es gewaltig. «Jeden Morgen, wenn ich aufwache, habe ich ein Bild vor Augen, das ich unbedingt umsetzen will.» Genau das ist es: Seine immense künstlerische Schaffenskraft, die seine scheinbar ruhige Fassade durchbricht.
Schon in jungen, ja sehr jungen Jahren wurde diese Lebensader entdeckt: «Aus dir wird ein Maler.» Heinz Allemann erinnert sich an die Aussage seines Sekundarlehrers sehr genau. Und er zückt einen Ordner mit Bildern, die er schon als Zehnjähriger in der Schule gemalt hat. Man muss seinem Zeichnungslehrer Sachverstand attestieren. Kaum einer wird glauben, dass diese Bilder, allesamt fein säuberlich eingeordnet, tatsächlich von einem Viertklässler stammen. Und plötzlich bricht es aus Heinz Allemann heraus: «Malen, das ist mein Leben, es bedeutet mir alles. Farben beflügeln mich. Wenn ich Farben sehe, kann ich mich kaum mehr beherrschen, es ist fast wie eine Droge.»
Seine immense Schaffenskraft wird erst in seiner Doppelgarage so richtig deutlich, wo das Auto schon längst den Werken weichen musste. 300 bis 400 Ölbilder reihen sich aneinander, über 9000 Zeichnungen, gut je 50 Collagen und Pinselzeichnungen im Grossformat und dazu 600 digitale Bilder im Computer. Vieles unveröffentlicht. Ein Bildbuchprojekt hat er fast pfannenfertig. «Nur der Text fehlt noch dazu, aber ich bin nicht der Schreiber.»

Gefühle ohne rationale Worte
Dafür ist Heinz Allemann der Mann des Pinsels. «Gemalt habe ich schon immer, mein ganzes Leben lang, soweit ich mich zurückerinnern kann.» Wie aber lässt sich sein Schaffen in Worte fassen? Heinz Allemann versucht es: «Die Technik, das Farbenzusammenspiel, die Ästhetik, die Experimentierfreudigkeit …» Er zählt auf, was ihm wichtig ist. «Jeder Maler hat seine eigene Handschrift.» Aber rational kann und will er das nicht in Worte fassen «Kunst ist etwas sehr Emotionales. Malen hat mit Gefühlen zu tun, die sind in meinem Körper drin und müssen raus.» Und diese Gefühle möchte er beim Betrachter auslösen. «Das Schönste ist es, wenn die zündende Idee von einem Werk als Funke auf den Betrachter überspringt.» Die zeitgenössische Kunst sei da vielleicht oftmals auf dem falschen Weg, «weil sie nicht mehr verständlich für den normalen Bürger ist. Für sie ist das manchmal der grösste Seich. Das kann auch abstossend wirken», gibt Heinz Allemann zu bedenken. Auch er male ab und zu zeitgenössisch, aber «ich suche dabei stets eine gewisse Ästhetik. Das Bild muss eine Schönheit ausstrahlen, die mich anspricht.»
 
In der halben Welt präsent
Und dass ihm das gelingt, verdeutlichen die ungezählten Ausstellungen in der halben Welt, in Süd- und Nordamerika, Afrika und natürlich in Europa, die er mit Werken vor Ort oder virtuell auf Online-Plattformen präsentieren durfte. Und diese Werke blieben nicht ohne nationale wie internationale Auszeichnungen, die er auch in jüngster Zeit erhalten hat. So wurde er im September 2018 für seine «Cloud-shoes» (Wolkenschuhen) mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet an der internationalen Triennale in Grenchen, an der auch Bilder von Pablo Picasso, Andy Warhol und Henri Matisse zu sehen waren. Im November erzielte er mit einem Werk aus der ­digitalen Serie Apollon an einer inter­nationalen Ausstellung in Tirol einen
2. Rang.
Fast noch mehr Bedeutung als den Juryauszeichnungen misst er aber den Publikumspreisen zu, wie jenem im Kunstmuseum Olten im Jahre 1988, der ihm den eigentlichen Durchbruch im Kanton Solothurn ermöglichte und den Weg zu zahlreichen Galerien ebnete. «So einen grossen Fanklub hatte ich bis dahin noch nie.» Was aber bedeuten die Preise für ihn? «Eine Anerkennung, dass ich auf dem richtigen Weg bin, aber leben kann man davon natürlich nicht.» Kann man das heute in der Schweiz überhaupt? «Das gibt es. Eine Zeit lang habe auch ich allein von der Kunst gelebt. Doch heute könnte ich nicht mehr mit diesen ständigen Existenzängsten leben.» Ohne seine Tätigkeit als Drucker ginge es nicht. «Aber auch Drucken ist eine Kunst. Und es hat mir das Leben als Künstler ermöglicht.»

Der Drucker und Künstler
Sein künstlerischer Werdegang ging denn auch stark mit seinem Beruf als Drucker einher. Während seiner Ausbildung zum Buchdrucker und seiner Weiterbildung zum Offset- und Endlosdrucker hat er zwischen 1974 bis 1977 die Kunstgewerbeschule in Bern besucht. Seine erste Ausstellung in einer Berner Galerie war 1977 mit konstruktiven Irisdruckbildern. 1978 reiste er nach Toronto, um die englische Sprache zu erlernen, blieb aber gleich fünf Jahre in Kanada. «Ich war einfach verknallt in das Land und die Menschen dort.» Auch in Toronto hat er in einer Druckerei gearbeitet, eine grosse Nummer in der Stadt, in der die Eishockeylegende Wayne Gretzky ein und aus ging und die einst gar das Hochzeitsbuch von Prinz Charles und Lady Diana gedruckt hat.
Auf Ausschusspapier der Druckerei hat Heinz Allemann Ölbilder gemalt, die er regelmässig für die Jahresausstellung der Robert McLaughlin Gallery in Oshawa einreichte. «Eine sehr schöne und bekannte Galerie, aber das habe ich damals gar nicht gewusst.» 1982 erhielt er dort eine Auszeichnung für das beste Ölbild. «Wenn ich jetzt erfahre, dass inzwischen eine Pipilotti Rist auch in dieser Galerie ausgestellt hat, dann erfüllt mich das schon mit Freude.»

Franz Eggenschwiler
Zurück in der Schweiz erlebte er zunächst eine gesundheitliche Krisenzeit. 1987 kam es dann zur ersten Begegnung mit Franz Eggenschwiler. «Er hat in der Druckerei, in der ich gearbeitet habe, einen Druckauftrag aufgegeben.» Zwei Jahre später kam dann der entscheidenden Anruf: «Franz hat mich angefragt, ob ich ihm beim Einrichten eines Ateliers in Eriswil helfen und eine Druckerei für seine Aufträge führen will. Ich habe natürlich zugesagt. Künstlerisch haben wir schon zuvor ähnliche Wege beschritten, bevor wir uns kannten.»
Bei Franz Eggenschwiler hat er ein Kunststudium absolviert. «Er war nicht der grosse Pädagoge, hat nicht viel geredet. Man hat mit den Augen gelernt, geschaut, was er wie macht.» Zwischen 1991 bis 1998 hat Heinz ­Allemann 140 Bilder von Franz Eggenschwiler nach dessen Vorgaben gemalt, aber auch Gipsfiguren geschaffen, restauriert und gedruckt.

Digitale Kunst
Nach der Jahrtausendwende und dem Tod von Franz Eggenschwiler (2000) begann für Heinz Allemann die digitale Revolution. Er kaufte sich einen Computer und begann, Fotos zu bearbeiten, zusammenzufügen zu Collagen, künstlerisch zu komponieren. Meist mit rudimentären digitalen Instrumenten. Paint und Paintbrush als gratis Softwaretools, Fotos, die er mit dem Handy geschossen oder im Internet gefunden hat.
«Spannend ist für mich einfach die Technik. Mit welcher Technik setze ich meine Idee um, wie reagiere ich auf Überraschungsmomente.» Das hat ihn sein ganzes Künstlerleben begleitet. Einmal habe er ein Bild auf nasses Papier mit einem Inkjetdrucker ausgedruckt. «Der Farbverlauf war einmalig, den Drucker konnte ich wegwerfen», erinnert er sich an das kostspielige Experiment ohne Reue.
«Wenn ich eine Hühnerhaut bekomme, innerlich begeistert bin, dann spüre ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin, die Idee umgesetzt, das Bild stimmig für mich ist.» Und wenn es nicht stimmt? «Dann signiere ich es nicht.» Manche Bilder seien innert Minuten «fertig», bei anderen dauere der Prozess Monate, ja sogar Jahre, einige bleiben im Anfangsstadium.
Gibt es auch Bilder, die für ihn heute nicht mehr stimmen? «Ja, das gibt es.» Die Antwort kommt schnell. Doch zur damaligen Zeit haben sie gepasst, zu den wilden 80ern oder die düstere Phase in den 90er-Jahren der Angst vor dem Aufkommen des Terrors. «Ein echter Kunstschaffender entwickelt sich immer und immer weiter und muss sich mit den grossen Künstlern auseinandersetzen, sonst macht er etwas, das es schon gibt.» Er kenne Künstler, die jahrzehntelang das gleiche malen, weil es den Leuten gefalle. «Das ist aber nichts für mich, stehen zu bleiben.»
Und wenn kein Kunsthändler Interesse zeigt an dem, was man mache, dann müsse man dies halt verkraften können. «Franz Eggenschwiler hat einmal gesagt: Ein Genie fragt nicht, sondern er wird gefragt.»

Vorwärts zurück
Vorwärts zurückgehen ist nun die aktuelle künstlerische Ausrichtung von Heinz Allemann. «Digital habe ich schon so viel, ja fast alles gemacht. Jetzt habe ich wieder so richtig Lust auf den Geruch von Farbe und Pinsel.»

Von Thomas Peter