• Ungleiches Duo, aber mit genauso faszinierenden Lebensgeschichten: Moderator Frank Baumann amüsierte sich beim Gespräch mit Chris von Rohr köstlich. · Bild: Walter Ryser

29.01.2020
Langenthal

Wenn Lotti Latrous und Chris von Rohr unter einer Decke stecken …

Was haben Lotti Latrous und Chris von Rohr gemeinsam? Nichts, rein gar nichts, würde man auf diese Frage logischerweise antworten. Die eine, Lotti Latrous, setzt sich in Afrika für Kranke und Sterbende ein, der andere, Chris von Rohr, hat sich dem ausschweifenden Leben als Rockstar hingegeben. Doch für einmal stecken die beiden unter einer Decke, treten während der Lesetour des Wörtherseh-Verlages gemeinsam auf und präsentieren ihre Biografien – auch im Hotel Bären in Langenthal.

Bereits zum zweiten Mal machte die Wörtherseh-Lesetour Halt im Hotel Bären in Langenthal.
Erneut stellten sich vier total unterschiedliche Buchautoren den Fragen des bekannten TV-Moderators Frank Baumann, dessen Frau Gabriela Baumann-von Arx als Verlegerin beim Wörtherseh-Verlag amtet. Dabei erhielten die zahlreich erschienenen Besucher nicht bloss Einblicke in die Buch-Neuheiten, sondern auch in das Leben der vier Autoren.

Demenz erfordert einen Blickwinkelwechsel
Zu ihnen gehörte beispielsweise die 85-jährige Diakonissin Brigitta Schröder, die sich in ihrem Buch «Martha, du nervst!» mit Altersdemenz befasst. Frank Baumann wies einleitend darauf hin, dass in der Schweiz bereits
110 000 Menschen mit Demenz leben. «Deren Pflege und Betreuung stellt für unsere Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung dar.» Dieser Herausforderung nahm sich Brigitta Schröder an, deren Geschichte sich um die langjährige Freundin Martha dreht, die nach einem Schlaganfall dement wurde und die sie anschliessend über Jahre hinweg betreute.
Diese Aufgabe bildete das Fundament für Brigitta Schröders Engagement für Menschen mit Demenz. «Von diesen Menschen können wir sehr viel lernen, das habe ich erst gemerkt während des Umgangs mit Martha», erzählte Schröder. Demente Menschen seien unglaublich sensibel, der Königsweg zu ihnen sei das Singen, denn diskutieren könne man mit ihnen nicht mehr. «Aber auch berühren ist wichtig», sagte sie und riet zu einem generellen Blickwinkel-Wechsel im Umgang mit dementen Personen.
«Mein innigster Wunsch ist, dass wir eines Tages nicht mehr von Demenzkranken oder Alzheimerpatienten sprechen, sondern von Menschen mit Demenz», bemerkte Brigitta Schröder abschliessend.
Mit dem Alter befasste sich auch Bestseller-Autorin Blanca Imboden in ihrem neusten Werk «heimelig». Nelly ist mit ihren 77 Jahren eine fröhliche, selbstbewusste, gesunde und recht muntere Witwe. Trotzdem zieht sie ins Altersheim «heimelig», weil ihre Tochter Trudi den dringenden Wunsch hat, ihr gemütliches Elternhaus durch einen modernen Neubau zu ersetzen. Dort wird es ihr aber schon bald ganz unheimelig langweilig. Deshalb geht sie auf Reisen nach Ascona, Buochs oder Chur. Am Ende gewinnt sie die Erkenntnis: «Ich will eigentlich nur eins: Raus hier und wieder leben, möglicherweise sogar wieder lieben.»
In Blanca Imbodens Altersheim-Roman wird gelacht und geliebt, gelebt und gestorben. Für ihr neustes Werk quartierte sie sich sogar eine Woche lang in einem Altersheim ein. Moderator Frank Baumann erzählte sie: «Hier wird sehr viel geschlafen, nach einer Woche ging ich tiefenentspannt nach Hause. Ich habe aber auch festgestellt, dass sich etliche Menschen im Altersheim inmitten der vielen Leute sehr einsam fühlen.» Dafür empfand sie grosse Hochachtung für das Pflegepersonal. «Viele Leute, die in Altersheimen arbeiten, sind richtig gross­artig, weil sie ihren Job mit enorm viel Herzblut verrichten.»

Ein Leben für die Armen
Nicht falsch liegt man, wenn man die dritte Autorin als Ikone bezeichnet, nicht weil es schon die vierte Biografie ist («Was war. Was ist. Was zählt.»), die über sie geschrieben wurde, sondern wegen ihres Engagements für Arme, Kranke und Sterbende im afrikanischen Staat Elfenbeinküste. Dafür wurde Lotti Latrous 2004 auch zur Schweizerin des Jahres erkoren.
Lotti Latrous lebte zusammen mit ihrer Familie in der Elfenbeinküste, als das Aids-Virus in aller Welt, vor allem aber in Schwarzafrika Millionen von Toten forderte. Aziz, ihr Mann, arbeitete damals für den Schweizer Grosskonzern Nestlé, die drei Kinder waren in der Schule, und Lotti tat, was sie tun musste, jenen helfen, die am meisten unter der Krankheit litten: Den Ärmsten der Armen. Zusammen mit ihrem Mann eröffnete sie in Adjouffou, in einem Slum der Wirtschaftsmetropole Abidjan, ein Ambulatorium und holte die Kranken eigenhändig aus ihren armseligen Hütten.
Sie kam tausendfach zu spät. Aber zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – die meisten von ihnen waren selber HIV-infiziert – konnte sie auch viele Leben retten. Nicht lange, da kam ein Sterbespital und etwas später ein Waisenhaus hinzu. In regelmässigen Abständen besuchte Lotti ihre Familie, die inzwischen in Kairo lebte. Sie habe ganz schlimme Zustände erlebt, erzählte Lotti Latrous. Erstaunt habe sie dabei, dass die Menschen dort nie gezweifelt und ihr Schicksal klaglos angenommen hätten. «Hier habe ich gelernt, Vertrauen zu haben», bemerkte sie.
Dennoch, ihr schlechtes Gewissen, dass sie in Abidjan blieb und sich um «fremde» statt um die eigenen Kinder kümmerte, plagte sie Tag und Nacht. Dass die Familie heute noch intakt ist, empfindet sie als das grösste Geschenk. Ebenfalls ein Geschenk ist, dass sie – nach einer persönlichen Krise – den Weg zurück in ihr Hilfswerk fand und sich dieses so entwickelte, wie sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt habe.
Auf die Frage von Frank Baumann, ob sie sich denn hier in diesem prächtigen Hotel in Langenthal wohl fühle, antwortete sie: «Das ist definitiv nicht mehr meine Welt. Ich habe in meinem Leben alles bekommen, was mich glücklich gemacht hat, doch das Wichtigste habe ich bei den Menschen in Afrika gefunden. Ich habe meine Seele an diesen Kontinent und die Menschen dort verloren.»

Er versteht mehr von Frauen als von Fussball
Frank Baumann gab unumwunden zu, dass ihm der Wechsel zum letzten Autoren des Abends nicht leicht falle, weil dieser kaum krasser ausfallen könnte. Unter den Klängen der Hardrock-Gruppe Krokus betrat deren Leadfigur Chris von Rohr die Bühne und nahm auf dem Interview-Stuhl Platz. Natürlich sass der Solothurner da, wie man ihn kennt, mit dem um sein Haupt geschlungenen Kopftuch, unter dem die wehende Haarpracht bis auf die Schultern hinunterfällt. Sein Outfit sei nicht einfach ein Modetrend, sondern eine Lebenshaltung, antwortete er auf die Frage des Moderators, weshalb er sich so kleide. Wie sich ein Mann kleide, sage oft mehr als tausend Worte, betonte Chris von Rohr. Seine Autobiografie «Himmel, Hölle, Rock’n’Roll» bezeichnete er als Liebeserklärung an die Frauen.
«Ich bin im Verlaufe meines Lebens zum Frauenversteher geworden. Ich weiss heute mehr über Frauen als über Fussball und über Füssball weiss ich verdammt viel», sorgte der Altrocker für Lacher im Publikum.

Scheitern ist kein Problem …
Der 69-jährige Von Rohr, mit rund 60 Millionen verkauften Tonträgern der erfolgreichste Rockmusiker der Schweiz, nimmt den Leser in seiner Biografie auf eine grosse Reise mit. Auf eine Reise mit vielen Glanzlichtern, aber auch Rückschlägen. Er schildert Erfahrungen, die klarmachen: Scheitern ist kein Problem, wenn man sich sein inneres Feuer bewahrt, wieder aufsteht und unerschrocken weitergeht. Chris von Rohr schreibt nicht nur über die Kunst des Songschreibens, des Liebens und des Lebens, sondern zeigt auch, was man bewegen kann, wenn man an seinem Traum arbeitet und wenn Leidenschaft, Wille und Hingabe auf die Spitze getrieben werden. Das Buch wird keine Leserin,
keinen Leser kaltlassen, weil es das Sein hinter dem Schein offenlegt und uns Vertrauen und Kraft gibt, den eigenen Weg zu finden.
Es macht Mut auf das Leben. Mut, etwas zu riskieren und freudvoll dem nachzugehen, was man im Herzen trägt. Oder wie es Chris von Rohrs Motto entspricht: «Chli meh Dräck» …

Von Walter Ryser