• Hannes Rickli (Mütze) und Christian Gerber hören sich belustigt die Anekdoten der Militärkameraden aus jener Zeit an, als es noch Feldpostkompanien gab. · Bild: Thomas Peter

01.05.2019
Oberaargau

Wie ein Fehlwurf die Kameradschaft fördern kann

Es ist eine Party gegen den bitteren Ernst, auch wenn der Name noch so staubtrocken klingt: Schweizerische Feldposttagung. Doch in Leimiswil wurden weder Briefumschläge vermessen noch postalische Fachreden geschwungen, sondern vor allem geschossen, gegessen, gescherzt, gelacht und geschwelgt in Erinnerungen: Kameradschaft pur über alle Generationsgrenzen hinweg.

Leimiswil · Schweizerische Feldposttagung! Für einmal ist der Name ganz und gar nicht Programm. Pakete und Couverts sucht man ebenso vergebens wie Postverteiler in militärischem Grün oder Brieftauben. Was aber lockt 100 mehrheitlich uniformierte Mannen und Frauen aus der ganzen Schweiz ins abgeschiedene Leimiswil? «Kameradschaft», sagt Urs Friedli knapp, aber doch vielsagend mit einem Schmunzeln auf den Lippen, das er den ganzen Tag über trägt. Dabei war der OK-Chef schon früh auf den Beinen an diesem Morgen. Seit wann denn? «Darf ich das überhaupt sagen?», fragt er bescheiden. Er darf. Um 20 vor 5 hiess es für ihn raus aus den warmen Federn. Schnell noch einen heissen Kaffee und ab ging die Post, die Feldpost eben. Im kalten Regen stellte er in aller Dunkelheit zunächst die Jalons auf, die gelben Militärwegweiser, die den Weg zum Schulhaus Leimiswil und zu den Wettkampfstätten zeigen.
Die sind auch bitter nötig. Rund 100 Gäste, Aktive und Freunde aus der ganzen Schweiz werden erwartet. Und für die meisten war Leimiswil bis zu diesem Tag ein kaum bekannter Fleck auf der Landkarte, die Jalons darum wichtige Orientierungshilfen.
Beim Schulhaus angekommen hat Urs Friedli noch flugs die Wettkampfpistolen ins Schulhaus getragen und fürs Schiessen vorbereitet.
Nebenbei überprüft er zudem die Sandwich-Produktion in der Küche auch mundtechnisch. Alles im wohlschmeckenden Bereich.

Welsch und Deutsch
«Viertel vor 7 Uhr habe ich die ersten Gäste beim Schulhaus begrüsst.» Und geht schmunzelnd, sinnierend und schwelgend weiter. Die Freude über den grossen Tag in Leimiswil ist ihm ins Gesicht geschrieben, auch wenn der Krampf der wochenlangen Vorarbeiten für ihn und sein Team nicht gerade ohne Anstrengungen war.
Und selbst jetzt hat er noch alle Hände voll zu tun für die letzten Details. Er koordiniert Shuttlebustransporte oder platziert Blumenschmuck für das besondere Ambiente der Festwirtschaft. «Gibt es den Wein nur beim Mittagessen oder bereits hier?», wird Urs Friedli von der Küchencrew kurz vor 10 Uhr im kleinen Aufenthaltsraum gefragt. Urs Friedli gibt grünes Licht für das rote Getränk auch zu dieser Stunde. Ob es ein Zufall ist, dass kurz darauf eine Gruppe mit Westschweizern beim Schulhaus eintrifft?
Ein herzliches Gemisch aus Hallo und Salut entfaltet sich. Die Stimmung ist ausgelassen. «Bist du auch schon da, comment ça va?»

Junge Gesichter
Man kennt sich, die meisten schon jahrzehntelang. Die getragenen Tenues repräsentieren die Militärmode scheinbar nahezu lückenlos bis weit ins vergangene Jahrhundert hinein. Und auch frisurtechnisch ist alles zu sehen. Vom halben Meter langen Männerrossschwanz bis hin zum kaum auszumachenden Millimeter-Haarwuchs. Die Farben vorwiegend Grau bis Weiss oder eben Nude bei Glatzenträgern. Doch auch einige jüngere Gesichter mit kräftigerer Haarpracht tauchen auf. Ganz klar eine Minderheit. Unter ihnen der 35-jährige Hannes Rickli aus Gondiswil und der 20-jährige Christian Gerber aus Huttwil, beides Elektriker, beide in ziviler Sportbekleidung.
Was hat denn sie in den ehrwürdigen Kreis der sanft Bejahrteren verschlagen? «Ich liebe den Schiesssport, das ist meine Leidenschaft», macht der Jüngere keinen Hehl daraus, dass er weniger wegen dem Anlass selber als vor allem wegen dem Schiessen hier ist. «Vor 12 Jahren habe ich bei den Kadetten in Huttwil damit begonnen. Ich bin noch jung und habe keine Familie. Wann immer ich schiessen kann, dann mache ich das.» Man kenne ihn so in seinem Freundeskreis mehr als sein halbes Leben lang. Da rümpfe keiner die Nase.
Für Hannes Rickli ist noch eine zweite Komponente wichtig: «Die Geselligkeit. Der Austausch untereinander über alle Altersgrenze hinweg, aber auch der Wettkampf zwischen den Generationen, wie er praktisch nur im Schiesssport möglich ist, sind für mich enorm wichtig.» Als Präsident der Schützengesellschaft Leimiswil freut er sich zudem, dass der Anlass gerade hier stattfindet. «Ich finde es eine tolle Sache für das Dorf und ihre Schützen, wenn so viele Leute aus der ganzen Schweiz hierherkommen.» Hannes Rickli und Christian Gerber verputzen den letzten Rest ihrer Sandwiches und nehmen noch einen kräftigen Schluck vom wärmenden Kaffee, bevor sie zum zweiten Mal gemeinsam aufbrechen zum Langdistanzschiessen.

Wider den bitteren Ernst
Bereits zur frühen Stunde waren sie zum Pistolenschiessen (25 Meter) in Huttwil angetreten. Wer war besser? Der Gondiswiler schwang oben aus, für Christian Gerber war es allerdings das Debut mit der Pistole. Beim ersten 300-Meter-Schiessen hatte dann aber der Huttwiler die Nase vorn. «Er ist der bessere Schütze», gibt Hannes Rickli neidlos zu. Doch die beiden nehmen es an diesem Tag nicht bitter ernst, foppen sich und spornen sich mit coolen Sprüchen gegenseitig an. «Das verträgt nicht jeder, wir aber schon.» Beim Schiessstand sind sie gefragte Leute. «Welchen Filter soll ich nehmen bei diesem trüben Wetter?», fragt ein Schütze die beiden eben eingetroffenen Experten. «Orange.»
Hannes Rickli weiss Rat, doch Christian Gerber gibt einen ganz anderen Tipp: «Gar keinen Filter.» Das gehört fast schon zu ihrem Spiel. Und während dem gleichzeitigen Schiessen nehmen sie sich weiter hoch. «Das war eine Zehn, das musst du mal nachmachen», kickt der Gondiswiler. Doch Christian Gerber kontert perfekt und schiesst gleich ebenfalls eine Zehn. Wieder setzt sich der Jüngere am Ende durch. «Aber nur ganz knapp», so Hannes Rickli.

Anekdoten im Multipack
Nach dem Verlassen des Schützenhauses wird der Schiesslärm bald von lautem Stimmengewirr übertönt. Eine Gruppe bunt gemischter Uniformträger wartet auf den Shuttlebus. Gut gelaunt werden lauthals gegenseitig Anekdoten aus jener Zeit aufgetischt, als es noch Feldpostkompanien gab. Und an diesen Erlebnissen sollen auch die beiden jungen Schützen teilhaben, die man umringt und kaum mehr gehen lassen will. Beide hören gespannt zu. «Das ist einfach das Tolle an solchen Anlässen, wenn man untereinander solch schöne Erinnerungen austauschen kann», fühlt sich Hannes Rickli einmal mehr bestärkt, dass die Geselligkeit nicht zu kurz kommen darf.
Natürlich sind er und Christian Gerber Fachexperten, wissen die Vorzüge ihrer verwendeten Karabiner gegenüber den neueren Sturmgewehren so zu preisen, dass es einem Laien beinahe schwindlig wird. «Beim Karabiner ist das Handwerk wieder gefragt, die sportliche Herausforderung ist grösser als beim Sturmgewehr», erklärt Hannes Rickli seine Faszination.
 Aber er gibt zu: «Es ist eine eigene Wissenschaft.»
Und die lassen sie bald zurück, als sie zur letzten Disziplin starten: UWK, Übungswurfkörperwerfen. Kaum einer kann das Wort ohne Spickzettel nennen. Hier erlebt das Gaudi von Hannes Rickli und Christian Gerber seinen Höhepunkt, als sie sich vor Lachen nur noch krümmen, weil die Handgranatenattrappe so gar nicht dort landen wollte, wo sie sollte.
Und die umstehenden Beobachter lachen herzhaft mit über den Fehlwurf. Kameradschaftserlebnisse der neusten Generation.

Von Thomas Peter