• Lorenz Ernst (links) und Ben Bertogg vom «Feiss und Heimlich» in Langenthal sind froh über die Zertifikatspflicht. · Bild: Leroy Ryser

15.10.2021
Oberaargau

Zertifikat ist nicht überall der Heilsbringer

Wer ein 3G-Zertifikat hat, der kann sich derzeit freier bewegen, das gilt auch in der Gastronomie-Branche. In unserer Region sind die Reaktionen der Beizer gegenüber dem Zertifikat aber unterschiedlich. Der «Unter-Emmentaler» hat in drei Restaurants nachgefragt.

Oberaargau · Lorenz Ernst, Inhaber vom Langenthaler Pub «Feiss und Heimlich», ist heilfroh, dass es das Zertifikat mittlerweile gibt. «Wir haben deswegen nicht weniger Besucher, auch ist das Zertifikat kein Hindernis», sagt er. Auch entstehen keine Diskussionen unter den Gästen. Wer kein Zertifikat hat, der kommt zumeist gar nicht, höchstens ein paar wenige hätten es bei ihm versucht, ohne 3G-Erlaubnis einzutreten. «Aber die lassen wir dann halt nicht rein, eine Busse wäre einiges zu teuer für uns», scherzt Lorenz Ernst. Abzuschätzen, welche Auswirkungen Corona oder das Zertifikat allgemein auf seinen Betrieb haben, sei aber schwierig. «Wir haben vor drei Jahren geöffnet und eigentlich braucht ein Betrieb gut zwei Jahre, um sich zu etablieren. Nach sechs Monaten mussten wir aber das erste Mal schliessen.» Etabliert habe man sich deshalb noch nicht in Langenthal, dies müsse man nun quasi neu beginnen. «Das hat Vor- und Nachteile.
Einzelne kennen unsere Beiz noch immer nicht, sind dafür oft aber auch gwunderig.» Ob daher Kunden wegbleiben, sei schwer zu beurteilen, eines sei aber auffallend gewesen. «Wir hatten hier oft junge Kundschaft, die das «Fürobebier» im kleinen Gärtchen eingenommen haben – viele davon fehlen noch immer.» Einzelne hätten sich erst spät impfen lassen und würden nun auch vereinzelt zurückkehren, andere verzichten weiterhin auf die Impfung. Eines aber könne er schon jetzt sagen: «Wegen dem Zertifikat geht es uns nicht schlechter. Ganz im Gegenteil.»

7-Uhr-Sperrstunde war schlimmer
Für ihn und seinen Mitinhaber Ben Bertogg sei nichts so schlimm gewesen wie der Lockdown, gar nicht öffnen zu dürfen habe Mühe bereitet. «Um sieben Uhr zu schliessen – das war wahrscheinlich noch schlimmer. Aber sonst sind wir einfach froh, dass wir offen haben dürfen.» Viele seiner Gäste kenne er, sodass er genau wisse, ob ein Zertifikat vorhanden ist, der Zusatzaufwand sei also gering.
«Wenn es schnell gehen muss», sagt hingegen Arthur Nyffeler, Inhaber vom Kreuz in Sumiswald, «bremst uns das schon ein bisschen aus.» Die Gäste müssten oft erst die App starten und den Ausweis hervorkramen und das koste ab und zu in ungünstigen Momenten viel Zeit. Zugleich sei aber auch er grundsätzlich froh, dass er sein Restaurant offen halten dürfe, sodass er den Umweg über das Zertifikat in Kauf nimmt.

Kreuz: Unsicherheit spürbar
Zugleich tut er dies in Sumiswald mit weniger Freude als sein Berufskollege in Langenthal. «Im Moment merken wir noch keinen grossen Umsatzrückgang, zugleich bin ich aber überzeugt, dass sich dieser einstellt, sobald das Wetter langfristig schlechter wird.» Viele seiner Gäste seien nur draussen, oft sei es beispielsweise auch bei Pärchen der Fall, dass eine Person nicht geimpft ist.
«Dann stellt sich plötzlich die Frage, ob man testen will oder ob man gleich zu Hause bleibt.» Aktuell macht sich Nyffeler Sorgen, dass (zu) viele die zweite Option wählen. «Bei Gruppen fällt das schon jetzt auf. Es gibt unter anderem Firmen, die ihre Essen absagen, weil das Testen mehrerer Personen schlichtweg zu viel kostet.» Wären die Tests weiterhin gratis, so hätte die Zertifikatspflicht wohl weniger Auswirkungen auf seinen Betrieb, «diese Vorschrift werden wir hier im Kreuz früher oder später aber bestimmt spüren.» Zu hoffen bleibe es einzig, dass das Weihnachtsgeschäft nicht zu stark davon beeinträchtigt wird. «Aktuell sind viele Firmen unsicher, was das Weihnachtsessen betrifft. Und da wären wir auf Buchungen angewiesen, weil wir den Betrieb schliesslich weiterhin rentabel betreiben müssen.»

Terrassen sind beliebt
Immerhin: Bisher seien die Terrassen gut gefüllt, sodass sich das Geschäft derzeit lohnt. «Für das Personal ist es hin und wieder etwas mühsam, weil es draussen für eine Bluse zu kalt und drinnen für den Faserpelz zu warm ist», sagt Arthur Nyffeler mit einem Augenzwinkern.
Von der Aussenfläche hat indes auch das Huttwiler Restaurant Bahnhof profitiert. «Der September, als es zumeist warm war, lief bei uns sehr gut», sagt Inhaber Stephan Kuonen. Vor Corona habe man zwar doch einige Menus am Mittag mehr verkauft, damals hätte es aber viele Baustellen im und um Huttwil gehabt, was über den Mittag im Bahnhof viel ausmacht. Jetzt, wo es kälter wird, erwartet das beliebte Mittags- und Vereinslokal aber dennoch einen Einbruch. «Die Zertifikatspflicht werden wir spüren. Es gibt viele Vereine, die ihre Vorstandssitzung im privaten Rahmen abhalten, weil nicht alle geimpft sind.» Auch würden beispielsweise ganze Teams gar nicht mehr vorbeischauen, «wenn nämlich von 20 Spielern beispielsweise fünf nicht geimpft sind, überlegen es sich die restlichen 15 oft, ob sie überhaupt gehen wollen.»
Allgemein sei im Zusammenhang mit Corona eine 25-prozentige Umsatzeinbusse zu erwarten, Kuonen sagt auch, dass jede einzelne Massnahme wieder Zeit benötigte, bis sich die wiederholt neue Normalität im Restaurant einpendelt.

Bahnhof: Kein goldener Winter in Sicht
Allgemein sei auch klar, dass sich während dem mehrmonatigen Lockdown viele Personen anders arrangiert haben. Jene Gäste in die Restaurants zurückzuholen erweise sich derzeit als schwierig. «Wir erwarten keinen goldenen Winter», sagt Stephan Kuonen weiter, Sorgen machen müsse man sich um das Restaurant Bahnhof aber nicht. «Unsere Familie ist seit den 1960er-Jahren hier, solche Wellenbewegungen können wir aushalten.» Freude bereite die aktuelle Situation natürlich auch nicht, «aber der Frühling kommt auch wieder und dann wird es hoffentlich wieder besser.»

Bald wieder alles normal?
Lorenz Ernst vom «Feiss und Heimlich» geht übrigens davon aus, dass die alte Normalität zurückkehren wird und auch in den Beizen bald alles wie früher sein wird. «Ich weiss nur nicht, ob wir wieder proppenvolle Clubs oder Bars erleben werden», ergänzt er. Schlecht sei dies aber nicht, auch hier sehe er wie in vielen Veränderungen auch Vorteile und Chancen.
«Früher war es oft so, dass man in dieser Szene drei Gäste hatte und jedem ein Bier verkauft hat. Heute hat man nur noch einen Gast und verkauft ihm drei Biere.» Anders gesagt könne man sich mehr Zeit für den einzelnen Gast nehmen, worüber er sich freue.

Von Leroy Ryser